Unbeirrt im Schnäppchenfieber

Ein Wegweiser zu preisgünstigem Direkteinkauf: Bestsellerverdächtig  ■ Von Edith Kresta

Mein Freund Heinz ist Schnäppchenjäger. Nicht nur im Ausverkauf schleppt er preisgünstige, nicht unbedingt erforderliche Lampen, Koffer, Socken und Auslegware an. Selbst an normalen verkaufsoffenen Samstagen fällt sein an Sonderposten geschultes Auge wie selbstverständlich auf den zur Hälfte reduzierten Kaschmirpulli mitten im Grabbeltisch- Gewühl. Mit besonderer Vorliebe ersteht er günstige Handtücher in allen Größen und Farben, weshalb wir statt ordinärer Bodenwischlappen stets kaum verbrauchte Handtücher der zweiten Wahl benutzen. Seine enorm zeitaufwendige Leidenschaft hat ein mir undurchsichtiges System. Doch an den reduzierten, zweitklassigen Edelstahltöpfen, Seidenblüschen, Markenjeans und echt ledernen Etuis habe auch ich meine Freude.

Seit neustem läßt Heinz seinem Jagdinstikt nicht mehr freien Lauf zwischen „KaDeWe“ und „WMF- Filiale“. Er läßt sich an der Leine führen. Der „Schnäppchen-Führer Berlin“ weist ihm detailliert den Weg zu „qualitativ hochwertiger, aber preisgünstiger Ware“ zwischen Buchholz und Lichtenrade, zwischen Spandau und Marzahn. Über 60 Adressen von Fabrikverkauf, Abholmärkten, Direktverkauf und Großhandel sind in dem handlichen Taschenbuch für 12,80 Mark genauestens aufgelistet und auf Ausschnittskarten geortet. Einzige Vorausetzung für den Preisbewußten: Er muß mobil und ziemlich stadtkundig sein, denn die Einkaufsorte liegen zum Teil in den hintersten Winkeln.

Tierisch gutes Fleisch von Rind, Schwein oder Lamm kriegen wir so um 20 bis 30 Prozent billiger bei „Mago“ in Reinickendorf. Gleich in der Nähe gibt's süße Negerküsse bei „Muchametow“, die mein Freund, wenn er schon so weit fährt, auch gleich mitbringt. Da sie nur im Karton zu 40 Stück à 6 Mark abgegeben werden, haben wir immer ein Mitbringsel für Freunde mit Kindern parat. Ein tolles Ostprodukt schmeichelt seit neustem meinen Füßen: „Bequeme Damenpantoletten in verschieden Farben und Formen – ansprechend fürs Auge, aber auch fürs Portemonnaie (5 Mark)“ gibts bei „Lady P“ auf dem Prenzlauer Berg. Eine andere Ostfirma liefert stabile und stapelfähige Karteikästen, Buch- und Zeitschriftenschuber aus umweltfreundlichen Materialien wie Holz, Pappe und Gewebe. Bei einer Ersparnis bis zu 50 Prozent, wie der Führer schreibt, will Heinz nun System in mein Schreibtischchaos bringen. Und für das nächste Weihnachtsfest hat er schon – statt des nadelnden Weihnachtsbaums – eine riesige, höchst preiswerte Echtblattpalme ins Auge gefaßt.

Trotz aller Schnäppchenrekorde hat Heinz aber auch herbe Rückschläge hinnehmen müssen. Die Flasche Nivea-Milch für eine Mark und das große vergoldete Doppelbett für 796 Mark im entlegenen „Schnäppchenmarkt“ – ein Muß für jeden Schnäppchenjäger, so der Leitfaden – waren leider gerade nicht vorrätig. Zwei Stunden Warten im Stau hat er in Kauf genommen, um mit 10 Glühbirnen à 60 Pfennig zurückzukommen. Vor Ostern will er noch unbedingt bei Hildebrand in Lichtenrade vorbei, denn dort soll's prima Schokolade, Feinbackwaren und röstfrische Nußwaren aus eigener Produktion geben. Die Fabrik sei nicht zu verfehlen, schreibt der Ratgeber, „nähert man sich ihr, schon duftet es nach gerösteten Erdnüssen und Schokolade.“ Ein erfreulicher Hinweis, denn schon des öfteren hat sich Heinz in den unbeschilderten Lagerhallen hoffnungslos verirrt. Dafür hat er Einblicke in die Produktionsbedingungen bekommen, meint er unerschüttert. Im festen Glauben an den Nutzen des Ab-Fabrik-Einkaufs läßt er sich nicht beirren.

Viele scheinen seine Euphorie, die fast schon Suchtcharakter hat, zu teilen: der „Schnäppchenführer“, erstmals in Baden-Württemberg von Heinz Waldemüller, dem Leiter der ARD-Ratgeber-Redaktion herausgegeben, ist bereits bestsellerverdächtig. Während der Einzelhandel „eine Sauerei“ wittert und der Verlag die ersten Prozeßandrohungen bekam, machen sich die Verbraucher auf zur Schnäppchentour. Mein Freund jedenfalls, intimer Kenner der Szene, schwört – trotz langer Anfahrtswege, Zeitverlust und Reinfällen mit Ladenhütern – auf die so erstandenen konkurrenzlos billigen Markenwaren.

Daß unsere Haushaltskasse wegen seines Billig-Kaufrauschs ein größeres Loch aufweist als je zuvor, tut er als vorübergehendes Phänomen ab – „bis es sich richtig eingespielt hat.“

Jörg Streller: „Schnäppchen-Führer Berlin“. Fink-Kümmerly + Frey 1993, 93 Seiten, 12,80 Mark