■ Links-alternative Reaktionen auf das Schreiben der RAF
: Willkommen daheim!

Die RAF lädt ein – diesmal zum linken Diskurs. In der gestrigen Ausgabe der taz auf dieser Seite zu bestaunen, fordert die bewaffnete Avantgarde von einst alle Linken guten Willens, auch jene, die in den Jahren des Kampfes immer ein bißchen hinterherhinkten – geschenkt! – zur Diskussion. Denn „tausend Fragen“, liegen „auf dem Tisch“ und harren ihrer Beantwortung in „solidarischer Diskussion“. Um so schlimmer: Die Debatte „hat noch kaum angefangen“, dabei liegt so viel im argen, gäbe es so viel anzupacken. Freilich darf, so läßt uns die RAF wissen, die politische Auseinandersetzung und „die Entwicklung neuer Vorstellungen“ nicht länger „im Ghetto bleiben oder als Abgrenzung zu anderen geführt werden“. Denn merke: „Wir leben schließlich nicht im luftleeren Raum.“ – Dieser Erkenntnis vor allem gilt, aus vollem Herzen, unser Glückwunsch. Nur schade, möchte man den Vorkämpfern von einst zurufen, die sich da sozusagen „klammheimlich“ ins linke Milieu zurückmelden, daß Ihr zu dieser bahnbrechenden Einsicht nicht schon ein bischen früher gelangt seid.

Diejenigen, die über Jahre hinweg ihre Vorstellungen von Politik durch „physische Liquidation“ von „Exponenten des Systems“ in die Tat umsetzten, fordern jetzt in einer Mischung aus alter Anmaßung und neuer Anbiederung die Reintegration in die politische Debatte. Doch ob die neusanfte Strategie der auf dem Rückzug befindlichen Terror-Liebhaber angenommen oder als abstrus zurückgewiesen wird, darüber entscheiden schließlich nicht sie selbst, sondern die Öffentlichkeit. Aber hier gerade liegt das Problem: Ein Anschlag, der ohne Tote abging, und schon schlägt die linksliberale Anerkennung hohe Wellen: Eine clevere, dabei handwerklich saubere Arbeit. Die RAF, so der Tenor, hat sich auf „intelligente Weise zurückgemeldet“. – Wohin? In die politischen Debatten dieser Gesellschaft? Clever und intelligent wird diese Strategie allein durch die abgestumpft-erleichterte Reaktion, die geneigt ist, die Abwendung vom politischen Mord schon als Ausweis wiedergewonnener Politikfähigkeit zu interpretieren. Müssen wir heute schon dankbar sein, wenn das Polit-Kauderwelsch von einst, in dem „Schwein“ als Synonym für Andersdenkende stand, durch Anschmiegen ans gemäßigt-linksradikale Idiom abgelöst wird?

Das jedenfalls war mit „politischem Dialog“ bislang nicht gemeint. Die lange genug als Handlangerdienste für den Staatsschutz diffamierten Forderungen, die letztes Jahr in die Kinkel-Initiative mündeten, hatten die Beendigung des anachronistischen Spuks zum Ziel, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Staat hat aus Dummheit die Chance verpaßt und damit zugleich den Resonanzboden hergestellt, auf dem die RAF jetzt mit guten Erfolgsaussichten den Wiedereinstieg in die politische Debatte betreibt. Zum Angebot der RAF, bei entsprechender Behandlung der Gefangenen ihren Amoklauf einzustellen, gibt es nach wie vor keine wirkliche Alternative. Doch daß die RAF, mit dezentem Verweis auf das ihr verbliebene Drohpotential und der neuen Anerkennung aus der linken Szene, jetzt ihre Rückkehr in die Politik erzwingen könnte, ist eine mehr als triste Aussicht. Ob sie sich bewahrheitet, daran wird man auch ablesen können, was die Linke wirklich aus ihrem langjährig- mühsamen Distanzierungsprozeß von der RAF gelernt hat. Matthias Geis