Boris Jelzin bekommt viele Amigos

Vor dem Gipfel zwischen Bill Clinton und Boris Jelzin ruft der US-Präsident die Amerikaner zur Unterstützung seines russischen Amtskollegen auf/ „Von Volk zu Volk“  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Offiziell war die Rede für die Fernsehkameras und die Ohren der geladenen Zeitungsverleger bestimmt. Doch bei seiner ersten außenpolitischen Rede am Donnerstag, zwei Tage vor dem amerikanisch-russischen Gipfeltreffen im kanadischen Vancouver, hatte US-Präsident Bill Clinton vor allem auch die russische Öffentlichkeit vor Augen. Den russischen Präsidenten Boris Jelzin würdigte er sachlich, aber nicht überschwenglich als den Führer der Reformer, dem Volk bezeugte er seinen Respekt für den begonnenen Prozeß der Demokratisierung – und schließlich dürfte er so manchen russischen Journalisten beeindruckt haben, als an passender Stelle ein Zitat der Schriftstellerin Anna Achmatowa präsentierte. Im Gegensatz zu seinen Amstvorgängern mag man sogar annehmen, daß er ihre Bücher auch gelesen hat.

Über das, was er dem russischen Präsidenten heute und morgen in Vancouver an konkreter Hilfe anbieten kann, verriet Clinton nicht viel. Statt dessen benannte er fünf Grundprinzipien der zukünftigen US-Hilfe: Die Maßnahmen müßten für die russische Bevölkerung unmittelbar spürbar sein und das Geld vor allem auch außerhalb Moskaus verteilt werden; die Hilfsprogramme sollten langfristige Auswirkungen haben; die Hilfe sollte von „Volk zu Volk“, nicht nur von „Regierung zu Regierung“ geleistet werden; sie müsse Teil einer multinationalen Anstrengung sein und schließlich als Gegenleistung auch den USA etwas einbringen: Mehr Sicherheit durch weitere Abrüstung russischer Atomwaffen.

Was Clinton mit Billigung beider Parteien im US-Kongreß Jelzin voraussichtlich anbieten kann, sind 400 Millionen Dollar Direkthilfe, die im nächsten Haushaltsjahr auf 700 Millionen Dollar aufgestockt werden sollen. Zum Teil wurde dieses Geld bereits unter der Bush-Administration bewilligt, aber aufgrund bürokratischer Hindernisse nie nach Rußland überwiesen. Die Direkthilfe soll nun für die Ausbildung russischer Geschäftsleute, für die Entwicklung von Öl- und Gasförderanlagen sowie für den Wohnungsbau für Soldaten verwandt werden, die aus dem Ausland abgezogen worden sind. Gleichzeitig will Clinton auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation in Rußland drängen: Die Inflationsrate liegt inzwischen bei monatlich 25 Prozent.

Die entscheidenden Weichen für die Rußlandhilfe werden erst am 14. und 15. April beim Treffen der Außen- und Finanzminister der G-7-Länder gestellt. Immerhin kann Boris Jelzin davon ausgehen, daß die neue US-Administration sehr viel energischer als die alte auf eine konzertierte Hilfsaktion und vor allem auf eine genauere Kontrolle über die Verwendung des Geldes drängen will. Insgesamt 30 Milliarden Dollar soll das neue Hilfspaket der G-7-Länder und des Internationalen Währungsfonds umfassen – darunter Kredite für den Import von Nahrungsmitteln, Maschinen und Ersatzteilen, ein Fonds mit sechs Milliarden Dollar zur Stabiliserung des Rubel (der allerdings schon auf dem G-7- Treffen im April letzten Jahres versprochen worden war) sowie ein Aufschub für fällige Schuldenzahlungen in Höhe von vier Milliarden Dollar.

All das sind, wie gesagt, hoffnungsvolle Planungen. Doch niemand kann garantieren, so warnte die New York Times, daß diese Pläne nicht genauso enden wie das versprochene Hilfspaket aus dem letzten Jahr. Nur zwei Drittel des Pakets gelangten tatsächlich nach Rußland, wovon wiederum ein großer Teil der Hilfe in Form von Getreidekrediten geleistet wurde, was die Verschuldung des Landes noch weiter steigerte.

Einer Sache kann sich Boris Jelzin immerhin gewiß sein: Bill Clinton wird ihn nicht im Hubschrauber-Tiefflug über reiche Swimmingpool-geschmückte Villenviertel fliegen, um ihm den Kapitalismus schmackhaft zu machen. Ein solches Programm hat nur George Bush mit Michail Gorbatschow absolviert.