: Brandstifter von Sachsenhausen gefaßt
■ Zwei Mittäter des Brandanschlags gegen die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen wurden verhaftet / Bei einem der beiden Rechtsradikalen fand man Schriftgut der verbotenen "Nationalistischen Front"
Berlin (taz) – Alles soll ganz spontan passiert sein. Skinhead Thomas H. (22) aus Prenzlau besuchte seinen alten Prenzlauer Kumpel Ingo K. (19). Ingo K. stammt ebenfalls aus Prenzlau, lebt jetzt jedoch in der Wohnung seiner Freundin in Ostberlin. Er ist arbeitslos, Thomas H. ist in Prenzlau als Arbeiter beschäftigt. Die beiden beschlossen loszuziehen, ein bißchen Spaß zu haben an diesem Samstag abend, dem 26. September 1992. Rein zufällig, so behaupten sie, trafen sie im Berliner S-Bahnhof Pankow auf eine Gruppe Gleichgesinnter: fünfzehn Skinheads, mit ähnlich vergnügungssüchtigen Ambitionen.
Wenige Ideen später stand die Unternehmung des Abends fest: auf nach Oranienburg, die Gedenkstätte des KZs Sachsenhausen abfackeln. Die nämlich wurde Tage zuvor Thema in den Medien, weil der damalige israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin die „Jüdische Baracke“ des einstigen Konzentrationslagers besuchte – jene Baracke Nummer 38, die damals noch das „Museum für die Leiden der jüdischen Kameraden“ beherbergt hatte.
Gekannt, so behaupten die beiden Prenzlauer, haben sie keinen der anderen Skins, mit denen sie in die S-Bahn stiegen. Zuvor besorgten sie schnell noch Benzin, um Molotowcocktails zu bauen. Auf dem Weg zum eine Fahrtstunde entfernten Oranienburg tankten sie leere Bierflaschen mit Sprit auf und bestückten sie mit Lappen. Fertig waren die Flaschenbomben, die wenig später in die Fenster der trockenen Holzbaracke 38 flogen. Der drei Meter hohe Zaun um das ehemalige KZ war für die Brandstifter kein Hindernis, die Baracke 38 lag am dichtesten an der Stelle, wo die Skinheadgruppe eindrang. „Es war das nächstgelegene Objekt, nicht speziell ausgesucht“, sagt Ingo K. gegenüber der Staatsanwaltschaft Potsdam. „Die ganze Aktion war spontan, nicht geplant.“ Wie viele Brandflaschen flogen und wer sie im einzelnen geworfen hatte, ist noch unklar. Die Baracke brannte fast vollständig ab, während sich die Brandstifter unerkannt und zufrieden zur S-Bahn Oranienburg verzogen und heimfuhren, nach Pankow.
Ein halbes Jahr lang kam die „Sonderkommission Sachsenhausen“ der Polizei mit ihren Ermittlungen nicht voran. Schließlich wurde Thomas H. seine eigene Dummheit zum Verhängnis. Betrunken spielte er sich in einer Prenzlauer Kneipe auf. Er wisse alles über die Hintergründe von Sachsenhausen, grölte er im Suff, er kenne die Täter. Nur sein interessiertes Gegenüber, dem er so großzügig den Namen von Ingo K. als Täter ins Ohr lallte, kannte er nicht. Es war ein Polizeibeamter aus Prenzlau. Ingo K. wurde festgenommen, gestand sofort, dabeigewesen zu sein, und bezichtigte seinerseits Thomas H.
Auch Thomas H. wurde festgenommen und gab zu, beim Brandanschlag teilgenommen zu haben. Eine Brandflasche habe er jedoch nicht geworfen. Anders als Ingo K., den die ermittelnde Staatsanwaltschaft als „geistig eher einfach strukturiert“ beurteilt. Er habe geschmissen, doch der Brandsatz sei ausgegangen, bevor er sein Ziel erreicht habe.
Echte Skinheads seien sie eigentlich nicht, beteuerten beide, aber rechtsorientiert, wenn auch nicht einer Organisation zugehörig. Eine Behauptung, die nach der Hausdurchsuchung bezweifelt werden darf. In der Wohnung von Thomas H. fanden die Polizeibeamten Schriften der verbotenen neofaschistischen Organisation „Nationalistische Front“. So mutmaßt die französische Nachrichtenagentur Agence France Press, daß der Anschlag keine, wie von den festgesetzten Mittätern behauptet, ganz spontane Aktion war. „Hinter dem Brandanschlag auf die Jüdische Baracke im früheren Konzentrationslager Sachsenhausen stand möglicherweise die rechtsextremistische Organisation Nationalistische Front“, meldete die Agentur am Freitag. Eine Vermutung, die weder die Staatsanwaltschaft in Potsdam noch die Soko in Oranienburg bislang bestätigen können. „Solange keine Hinweise auf die Mittäter vorliegen, machen wir keine Angaben.“
Die beiden Festgenommenen Thomas H. und Ingo K. werden der Mittäterschaft am Brandanschlag angeklagt, der Brandstiftung, des Landfriedensbruchs und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, fordert eine „harte Bestrafung mit abschreckender Wirkung“. Künftige Gewalttäter sollten wissen, was sie nach ähnlichen Taten erwartet. Er appellierte an die Eltern, die Erziehung ihrer Kinder hin zu Toleranz und Gewaltfreiheit ernst zu nehmen. Michaela Schießl
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