Rückzug hinter die Barrikaden

■ Für eine Kooperation von Juden und Schwarzen, symptomatisch für die ersten 10 Jahre der Bürgerrechtsbewegung, gibt es heute nur noch bescheidene Ansätze

Angenommen, die Geschichte der Beziehungen zwischen schwarzen und jüdischen Amerikanern in der Bürgerrechtsbewegung begänne 1947 – dem Jahr, in dem Jackie Robinson mit den „Brooklyn Dodgers“ in die oberste Baseball- Liga aufstiegen. Die „Dodgers“ waren – ähnlich dem FC St.Pauli im Hamburger Fußball – die Underdogs in der New Yorker Baseball-Liga und wurden von Schwarzen und Weißen aus den jüdischen Nachbarschaften Brooklyns bejubelt. Ihr Held war der legendäre Pitcher (Werfer) Jackie Robinson, der erste schwarze Spieler, der in der obersten Liga geduldet wurde; und der erste, vielleicht der einzige Schwarze der einen jiddischen Kosenamen hatte: Yonkel.

Jack Greenberg stand 1947 kurz vor dem Abschluß des Jura-Studiums an der Columbia-Universität. Jackie-Yonkel Robinson war Greenbergs erster All American Hero. „Er hat uns gezeigt, wie man gegen Intoleranz und Ignoranz triumphiert – mit enormer Haltung und Würde.“

Daß Jack Greenberg zwei Jahre später als junger Anwalt dem Rechtsfonds der „National Association for the Advancement of Coloured People“ (NAACP), der größten schwarzen Lobby- und Bürgerrechtsgruppe, beitrat, hatte aber mehr mit seiner Unlust zu tun, in einer Anwaltsfirma an der Wall Street Karriere zu machen. Der Entschluß lohnte sich jedenfalls für alle Beteiligten: Fünf Jahre später schrieb Greenberg Rechtsgeschichte, als er unter Leitung seines Chefs und zukünftigen Verfassungsrichters Thurgood Marshall vor dem Obersten Gerichtshof den Fall „Brown vs. Board of Education“ gewann, der – zumindest juristisch – das Ende der Segregation bedeutete.

Die Kooperation von Greenberg und Marshall in der NAACP, in der seit ihrer Gründung Anfang des Jahrhunderts immer wieder jüdische Amerikaner führende Positionen einnahmen, war symptomatisch für die ersten zehn Jahre der Bürgerrechtsbewegung. Martin Luther King hatte, im Gegensatz zu Malcolm X, den liberalen Teil der weißen amerikanischen Mittelschicht zur Kooperation aufgefordert, indem er an ihre Moral und Ethik appellierte. Am schnellsten und bereitwilligsten reagierte die jüdische Community. Mehrere der engsten Berater Martin Luther Kings waren jüdischer Abstammung; jüdische Organisationen zählten zu den wichtigsten Geldgebern der Bewegung; über die Hälfte der jungen weißen „freedom riders“, die schwarze Aktivisten in den Südstaaten bei der Registrierung schwarzer Wähler und bei Demonstrationen unterstützten, waren jüdische Studenten. Die Grundlage dieser Koalition schien ebenso offensichtlich wie stabil: Beide Gruppen waren mit Diskriminierung und Haß konfrontiert, der für die einen Rassismus, für die anderen Antisemitismus hieß.

Doch die Fähigkeit, das Leiden des anderen nachzuempfinden und zum Ursprung gemeinsamen politischen Handelns zu nehmen, war zeitlich begrenzt. Aus Kooperation wurde wechselseitiges Unverständnis: Weiße, meist jüdische Bürgerrechtler mochten die wachsende Wut und Frustration vieler Schwarzer nicht nachvollziehen, die sich nach Überwindung des staatlich sanktionierten Rassismus nun in der viel subtileren Falle des ökonomischen Rassismus sahen. Schwarze wiederum konnten die oft paternalistische Attitüde vieler weißer Bürgerrechtler nicht ertragen. Man zerstritt sich erbittert vor allem über Quotenregelung, die Rolle Israels und den wachsenden Antisemitismus mancher schwarzer Organisationen wie der „Nation of Islam“ und ihres Führers Louis Farrakhan, der das Judentum als „Gossenreligion“ bezeichnet hat. Das Problem ist nicht, daß die Mehrheit der Schwarzen in den USA Farrakhans Demagogie glauben. Das Problem ist vielmehr, daß ihm lange Zeit innerhalb der schwarzen Community kaum jemand öffentlich widersprochen hat. Einer der wenigen, die laut Kritik üben, ist Henry Louis Gates, Direktor des „Afro-American Studies Department“ der Harvard Universität. Schwarzer Antisemitismus, so schrieb er unlängst in der New York Times sei vor allem „eine Waffe im Kampf darum, wer für das schwarze Amerika sprechen soll – diejenigen, die ein gemeinsames Ziel mit anderen gesucht haben, oder diejenigen, die den Rückzug hinter die Barrikaden der rassischen Authentizität wollen.“ Um letzteres Ziel zu erreichen, sei nichts effektiver als zunächst diejenigen anzugreifen, die einst Verbündete waren – und es wieder werden könnten: amerikanische Juden.

Immerhin traten Jesse Jackson und Robert Lifton, Präsident des „American Jewish Congress“ unlängst gemeinsam auf einer Pressekonferenz in Washington auf und legten ein politisches Koalitionsprogramm vor, das von der Unterstützung für haitianische Flüchtlinge bis zur Familienpolitik reicht – ganz im Sinne eines Grundsatzes Martin Luther Kings: „Wir stecken alle in einem Netzwerk der Gegenseitigkeit, aus dem wir nicht entkommen. Was immer einen direkt betrifft, betrifft alle anderen indirekt.“ Das klingt zugegebenermaßen banal. Deswegen vergißt man es auch so leicht.