Luftheilbad Liebe

■ Premiere bei Shakespeares: „Wie es euch gefällt“ / Wo ist der Mann noch Mann? Wo fängt die Frau an? Wo hört sich alles auf?

Orlando (Ariela Ruchti) und Jaques (Robert Brandt) im Ardenner Wald (hinten)Foto: M. Menke

Und da sitzen wir wieder und können zukucken. Grade noch selbst durchs Leben gestrolcht, spielen wir wieder das Publikum zur Bühne und suchen hinter den Erscheinungen den Sinn.

Aber in der letzten Reihe sitzt der alte Hexenmeister Shakespeare und lacht sich ins Fäustchen, daß er uns lebenslange Lehrlinge mit seinen Verwicklungen wieder so nett am Wickel hat — auf daß sich unsere Köpfe, besser Herzen, so lange drehen und wenden, bis allen schwindelig wird. Erst dann ist alles gut, der Sinn voll, und wir dürfen zusammen mit dem Schluß in eine zur Vernunft gekommene Welt zurückkehren.

Vorher ist Wald, Wandlung und Getümmel. Rehe verkehren von weitem in Versen, Menschen wimmeln vor Liebe, Leid und Leidenschaft und spielen Bäumchen wechsel dich. Und Bäumchen wechselt sich, bis

Schluß ist mit lustig. Und weil Shakespeare dazu ein notorischer Humorist ist, gibt es immer genug zu lachen, so daß weder wir, das vergnügungssüchtige Publikum, noch die Inszenierung an Frohsinn und Heiterkeit sparen müssen.

Diesmal haben wir es dank der Bremer Shakespeare-Company und ihrer Lust aufs doppelte Umdeuten mit der doppeldeutigen Komödie „Wie es euch gefällt“ von 1599 zu tun. Vier Paare haben sich in gut drei Stunden zu finden, nachdem sie verschiedene Geschlechter von innen geprüft und ausgehalten haben. Ein sonderbar kühnes Trüppchen kommt uns da gleich wieder entgegen, einerseits mit Mantel und Degen, andererseits in zärtlicher Lümmelung am Hofe von Herzog Frederick. Es sind die zwieträchtigen Brüder Oliver und Orlando und die zärtlichen Cousinen Rosalind und

Celia. Sie alle müssen zur Wandlung ab in den Ardenner Wald — eine Art Arkadien im Dunkeln und Symbol für die Reise in die Innenwelt, wo man sich den Strapazen der eigenen Unordnung aussetzen kann und soll. Und was könnte unordentlicher sein als das eigene und das andere Geschlecht?

Also ziehen die Frauen die Hosen an und spielen einen ganzen oder einen halben Mann. Die Männer schwänzeln dafür in Röcken. Alles in allem auch noch echte — vom Hofe — Vertriebene. Und siehe: das Wesen des Menschen ist natürlich androgyn, und alles ist im Prinzip immer schon überall. Bloß wo genau? Ist schon ganz Mann, wenn die holde Rosalind (Barbara Kratz) als zarter Ganymed ein herausforderndes Gesicht macht? Und ist irgendetwas weiblich am Sturm und Drang von Orlando, außer Ariela Ruchti, seiner Darstellerin? Wo ist der Mann noch Mann und wo hört er auf? Und wo ist die Frau, die grade zum Mann wurde, noch Frau?

Die Inszenierung von Pit Holzwarth, nach der Neuübersetzung von Rainer Iwersen, hat die Komödie akribisch beim Wort und an die Leine genommen. Das bekommt ihr gut an den saftigen Stellen, wo wir vom Narren Touchstone mit knackigen Witzchen beworfen werden. Erik Roßbander ist ein wunderbar männlichweiblicher Giftzwerg, der auf Knien stolzieren kann. Trotz gefährlich verlockender Lächerlichkeit schenkt er ihm eine so lauernde Lebendigkeit, daß es hinter der Maske und vor uns ganz hell wird. Genauso der Melancholiker Jaques von (Neuzugang) Robert Brandt: ein derart akkurat zappelndes Stücklein Nervosität, ein derart bis in die Fingerspitzen angewiderter Lebensekel — da spreizt es einem die Begeisterung! Die beiden Figuren ziehen allerdings manchmal wie eine Lokomotive die etwas mühsamer zockelnden Waggons mit den lehrreich verhedderten Liebenden hinter sich her.

Im Wald herrschen ansonsten Friede, Freude, Eierkuchen in Gestalt von drei ex-adligen Eremiten, die zuerst sehr schön auf die Szene trappeln — um sich dann aber so weihevoll und ausgiebig der Natur an den Hals zu werfen, bis auch die letzte kapiert hat: hier sind Aussteiger zugange. Da werden Arme segensreich gebreitet und Krüge gereicht und eine Tafel mit wesentlichem Obst aufgebaut. Das ist ein bißchen viel Gewese mit Abendmahltouch. Sonst ist die Bühne selbstverständlich leer. Bei Shakespeare soll man selber sehen. Fast ist der Zweig, mit dem gewedelt wird, schon zuviel vom Ardenner Wald.

Dem Verwirrspiel mit der Unvollständigkeit gelingt, uns mit unserem schwarzen Brett vorm Kopf zu konfrontieren. Da pinnt ja doch immer noch die ein oder andere dumme Idee. Zum Trost finden sich am Ende aber noch fix die Geschlechter: als wenn sie Mann und Frau wären oder zueinander paßten. Und wir sind ein bißchen gebeutelt geläutert und haben gelernt: Die Liebe, in etwa Arkadien, liegt nicht in der Karibik, sondern in den Wäldern von dir und mir. Anschwellender Applaus. Claudia Kohlhase

Nächste Vorstellungen: 6./7.4., 19.30h