■ Vom Suchen und Finden
: Russisches Karussell

Es war einmal ein armer russischer Emigrant, Künstler wie so viele Neubürger in Berlin. Jeden Monat malte er in seinem Wohnheim ein neues Ölgemälde, und jeden Tag erlitt er in den Galerien die gleiche demütigende Ungerechtigkeit: Wir können Ihr Bild nicht kaufen, Sie kennt doch keiner, probieren Sie es woanders, vielleicht ein Museum, finden Sie einen Agenten! Und jedesmal packte unser Künstler seine Bilder traurig wieder ein, denn wie findet man ein interessiertes Museum und wie wird man berühmt, wenn man keinen Public-Relations-Manager hat? Und da – dem Himmel sei Dank – fiel ihm am Samstag ein Zeitungsausschnitt in die Hände.

In der Spandauer Zitadelle, so las er, wurde am vergangenen Donnerstag eine Ausstellung eröffnet, die es gar nicht gibt. Denn die zur Präsentation vorgesehenen 316 Bilder und Skulpturen aus Mittelrußland sind auf dem Weg von Wolgograd nach Berlin spurlos verschwunden, samt Lkw und den beiden Fahrern. Seitdem sucht ein Museum verzweifelt seine Bilder, wartet auf ein Wunder, und die Wände sehen derweil kahl und leer aus.

Deren Not könnte ich lindern, dachte sich nun unser verkannter Künstler, der zwar Bilder, aber kein Museum hat. Von seinem letzten Geld mietete er am Samstag einen Kleintransporter und packte in diesen 17 seiner unverkäuflichen Ölgemälde aus dem Zyklus Szenen aus dem Alten und Neuen Testament ein. Und im Schutz der Dunkelheit ging es auf zur Nationalgalerie im Tiergarten, zu einer nächtlichen Freiluftausstellung der besonderen Art.

Und alles klappte wie am Schnürchen. Um 2 Uhr nachts fand ein Taxifahrer auf dem Parkplatz die abgestellten Ölgemälde. Die kleinen in Kartons verpackt, die großen 120 mal 140 Zentimeter an der Wand lehnend. Er benachrichtigte die Polizei, ein Informant das Info-Radio, das wiederum die in Spandau auf ihre Bilder hoffende Direktorin des Wolgograder Museums, Tatjana Dodina, denn es könnte ja sein, daß... War aber nicht. Dafür brauchte sie nur einen Blick. Denn in Spandau wartet man auf Bilder, die den Krieg zeigen, und nicht auf Moses. Dafür entzifferte die russische Kunstexpertin die in kyrillisch geschriebenen Entstehungsdaten und den Namen des bibelfesten Künstlers. Leonid Abramow heißt er, ein bis gestern völlig unbekannter Stern, und gemalt sind die Szenen alle in den beiden Jahren 1990 und 1991.

Ob die Sache sich nun so oder anders abgespielt hat, vielleicht aber auch die Mafia oder Schalck-Golodkowski die Hände im Spiel hatten, muß sich noch herausstellen. Sicher hingegen ist: 17 Bilder warten in der Asservatenkammer der Polizei, und weder Galeristen noch Besitzer, noch Leonid Abramow haben sich bisher gemeldet. Und in Spandau hofft Tatjana Dodina immer noch auf 316 Exponate, einen Lastwagen und zwei Fahrer. Anita Kugler