■ US-Präsident Bill Clinton legt sich schwer ins Zeug für Jelzin
: Parcours voller Tretminen

Trotz Regen in Vancouver – unter einen Schirm wollte sich Boris nun doch nicht stellen. Das hätten sie ihm zu Hause gleich wieder als Schutzbedürftigkeit ausgelegt. Ein gefundenes Fressen für den politischen Gegner. Auch Bill nahm wenig später auf dem Flughafen lieber ein nasses Haupt in Kauf und trug noch nicht einmal einen Mantel gegen die Kälte. Boris zog wenig später gleich und erschien zum Open-air-Fototermin ebenfalls im Jackett. Wer hätte sich vor zehn Jahren wohl träumen lassen, daß Kleiderordnung und Gripperesistenz der Regierungschefs zu entscheidenden Auf- und Abrüstungskategorien werden!

Nun redet jede/r von der Gratwanderung, die Boris Jelzin in Vancouver vollbringen muß, doch mindestens so genau verfolgt man in den USA, wie elegant sich Bill Clinton auf seinem ersten Gipfeltreffen bewegt. Dabei muß Clinton bei seinem ersten Auftritt auf internationalem Parkett ein wahrlich heterogenes Sortiment an Zielgruppen bedienen. Da sind zum einen Jelzins Gegner in Rußland, denen er Rückendeckung für Jelzin signalisieren will – ohne den russischen Präsidenten dem Vorwurf des Ausverkaufs auszusetzen. Abgesehen vom Schirm-Showdown gibt Clinton seinem russischen Amtskollegen alle Hilfestellung, zumindest visuell den Schein zu wahren: den eines gleichberechtigten politischen Partners, der in Wahrheit ein Bittsteller ist. Da sind die innenpolitischen Gruppen in Rußland, viele von ihnen Jelzin-kritisch, aber deswegen noch lange nicht reformfeindlich, denen Clinton klarzumachen sucht, daß die USA den Reformprozeß nicht zu sehr personalisieren wollen. Da ist zum anderen die amerikanische Öffentlichkeit, die eine Galions- und Symbolfigur wie Boris Jelzin braucht, um einzusehen, daß trotz innenpolitischen Sparzwangs die Auslandshilfe für den einstigen Gegner aufgestockt werden soll. Da ist der US-Kongreß, in dem Clinton noch einiges an Überzeugungsarbeit bevorsteht, wenn es um die Genehmigung neuer Hilfsgelder geht. Und schließlich sind da die westlichen Industrienationen mitsamt ihren Finanzinstitutionen. Ihnen gegenüber hat er im Gegensatz zu seinem Vorgänger in der Rußlandpolitik eine Führungsrolle eingenommen. Gleichzeitig vergißt er nie zu sagen, was er leisten kann – und was nicht: Er kann den Ausgang des Machtkampfs in Rußland nicht bestimmen und auch nicht vorhersagen. Aber er will ein politisches Momentum schaffen, aus dem heraus eine konzertierte, westliche Hilfsaktion möglich ist.

Das ist ein Parcours voller Tretminen. Doch bislang gibt es keinen Grund, mit guten Noten für den US-Präsidenten zu sparen. Soll noch einer sagen, in Arkansas lernt man nichts über Außenpolitik. Andrea Böhm, Washington