Frankreichs Sozialisten in der Zerreißrobe

■ Rocard verdrängt Fabius als Parteichef/ Kollegiale Interimsführung

Paris (taz) – Frankreichs Sozialistenchef Laurent Fabius ist am Samstag abend auf einer Tagung des Leitungskomitees der PS zum Rücktritt gezwungen worden. Nach stundenlangen internen Machtkämpfen gelang es Ex-Premierminister Michel Rocard, die Parteileitung an sich zu reißen. Damit bezahlt Fabius die ungeheure Niederlage der Sozialisten bei den jüngsten Wahlen zur Nationalversammlung. Es half ihm da nicht, daß er selbst erneut zum Abgeordneten gewählt wurde, während Rocard seinen Sitz in der Nationalversammlung verlor.

Rocard hatte im Wahlkampf das Ende der abgewirtschafteten Partei angekündigt und zur Bildung einer linken Sammelbewegung nach US-amerikanischem Vorbild aufgerufen. Er ist nun Vorsitzender einer provisorischen kollegialen Parteileitung, deren Aufgabe es ist, den für Juli angesetzten Parteitag der Sozialisten vorzubereiten. Auf diesem Kongreß soll die Basis über das weitere Schicksal der PS beschließen. Bis dahin könnte die Partei jedoch schon zerfallen sein, denn mehrere Flügel erwägen die Abspaltung.

Als erster Führungspolitiker hatte der ehemalige Parteichef und Bildungsminister Lionel Jospin am Samstag früh noch vor der Tagung seinen Rücktritt aus allen Leitungsgremien bekanntgegeben. „Ich sehe nicht, daß sich ein gemeinsamer Wille abzeichnet, die Lehren (aus der Niederlage, d.Red.) zu ziehen und Abhilfe zu schaffen“, begründete er seine vorausschauende Entscheidung. Am Abend trat auch der Abgeordnete und Ex-Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement aus den Führungsgremien aus. Die PS habe die Wahl verloren, weil sie den Sozialismus aufgegeben und alles dem puren Machterhalt untergeordnet habe. Grundsätzliche politische Fragen seien auf der Tagung nicht einmal angesprochen worden. „Es gibt keine PS mehr, die Partei ist implodiert“, erklärte er. In der PS wird damit gerechnet, daß Chevènement aus der Partei austreten und sich ganz seiner Gruppe „Bewegung der Citoyens“ widmen wird, die bereits eigene Kandidaten für die Wahl zur Nationalversammlung aufgestellt hatte.

Daß sich Rocards Manöver als Pyrrhussieg erweisen könnte, zeigt die Zusammensetzung der neuen Parteileitung: Das Interimsgremium hat 21 Sitze, die den verschiedenen Parteiströmungen je nach Stärke vorbehalten sind. Zehn Plätze blieben jedoch vakant. Bislang schicken die „Rocardianer“ vier Mitglieder in das Gremium, die Jospin-Anhänger nehmen fünf Sitze ein, und einer geht an Jean-Luc Melanchton von der Gruppierung „Die sozialistische Linke“. Von den übrigen Sitzen sind fünf für Fabius-Anhänger vorgesehen, die die Mitarbeit verweigert haben. Zwei Sitze sind den Anhängern von Ex-Parteichef Pierre Mauroy vorbehalten, einer für Chevènement und einer für die „Quadras“, die sogenannten „40jährigen“ um Ex-Umweltministerin Segolène Royal, die EG- Kommissionspräsident Jacques Delors nahestehen. All diese Gruppierungen lehnten es bislang ab, VertreterInnen in das Gremium zu entsenden. Die „Quadras“ hatten zwar schon vor einer Woche den Rücktritt der gesamten Parteispitze verlangt, die Manöver vom Wochenende wollten sie jedoch nicht mittragen.

Nach seiner Niederlage sprach Fabius von einem Putsch; er weigerte sich, Rocard die Hand zu schütteln, und verließ die Tagung vor ihrem Ende. Rocard galt bis zu den Wahlen unumstritten als nächster Präsidentschaftskandidat der PS; er räumte nun ein, daß er seine Legitimität verloren habe und sich diese Rolle neu erkämpfen müsse. Bettina Kaps