Die Stasi ist verschwunden – der KGB bleibt

■ Deutsch-russischer Erfahrungsaustausch in Sachen Geheimdienstauflösung

Berlin (taz) – Vieles hat sich geändert in Rußland, nur eines nicht: der KGB. Der Geheimdienst wurde nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches zwar mehrfach umstrukturiert, neu aufgeteilt und umbenannt – für das langjährige Vorstandsmitglied der Meschenrechtsorganisation „Memorial“ in Sankt Petersburg, Boris Pystinzew, ragt der Geheimdienst vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Systems aber immer noch wie ein Monolith empor. Pystinzew und seine Freunde hatten erwartet, daß die Veränderungen im Land auch „den Status des KGB und seine Rolle“ verändern würden. Tatsächlich ist aber „das unheilvollste Glied des Repressionsapparates in praktisch unveränderter Form bewahrt“ worden.

Boris Pystinzew hält sich gegenwärtig auf Einladung des Berliner Bildungswerkes für Demokratie und Umweltschutz für einige Wochen in der Bundesrepublik auf. Der 1935 in Wladiwostok geborene Bürgerrechtler hat seine eigenen, schlimmen Erfahrungen mit den sowjetischen Sicherheitsorganen gemacht. Weil er gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Ungarn protestierte, wurde er 1957 zu zehn Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt. Erst 1962 kam er über den Weg einer Begnadigung wieder frei. Im vergangenen Herbst war Pystinzew dabei, als in Sankt Petersburg der Verein „Bürgerkontrolle“ ins Leben gerufen wurde. Die Organisation hat sich zur Aufgabe gemacht, die Aktivitäten des neu-alten KGB zu kontrollieren und für die Einhaltung der Menschenrechte durch die russische Stasi Sorge zu tragen. Eine ausgesprochen schwierige Aufgabe, lebt doch in Rußlands Geheimdienst gegenwärtig der alte Korpsgeist wieder auf. Die Bürgerrechtler aus Sankt Petersburg suchen daher den Austausch mit den bundesdeutschen Menschenrechtsorganisationen über die Erfahrungen, die bei der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit gemacht wurden. Zudem wollen sie sich über die Kontrollmöglichkeiten des real existierenden Verfassungsschutzes informieren.

Der scheinbar zerrüttete KGB- Apparat hat, wie Pystinzew bei einem Seminar unter dem Titel „Die Stasi und der KGB – Möglichkeiten der Kontrolle“ am Wochenende berichtet, nach der Phase einer gewissen Verwirrung erneut „Mut gefaßt und rechnet heute wieder damit, eine der einflußreichsten Kräfte im Staat zu werden“. Es sei eine Illusion gewesen, ruft er den Teilnehmern des Seminars – unter ihnen Stasi-Auflöser Hans Schwenke, der Mitarbeiter der Gauck-Behörde, Christian Ladwig, und die im Berliner Verfassungsschutzausschuß die Grünen vertretende Renate Künast – in Erinnerung, daß der Sicherheitsdienst seinen Einfluß eingebüßt hat. Zwar habe der nach dem Moskauer Putsch eingesetzte KGB- Chef Wadim Bakatin mehr als die Hälfte der alten Geheimdienstler entlassen. Ein paar Monate später allerdings wurde Bakatin selbst entlassen. Unter neuer Führung wurden dann 80 Prozent der Geschaßten wieder angeheuert. Die Moskauer Regierung, kritisiert Pystinzew, gebe mit all ihren Handlungen zu verstehen, „daß sie an die wundersame Verwandlung des Sicherheitsdienstes aufrichtig glaubt“. Der Geheimdienst legitimiere sich neuerdings, indem er die Aufgaben der schlechter ausgerüsteten Kriminalpolizei wahrnimmt und die Verfolgung von Korruption und Organisierter Kriminalität übernimmt.

Als besonders dreisten Vorstoß wertet Pystinzew eine Gesetzesinitiative des Sankt Petersburger Geheimdienstchefs Wiktor Tscherkesow. Der Oberst, dem Bürgerrechtler als „Dissidentenjäger“ noch gut in Erinnerung, hatte den Stadtrat vor kurzem aufgefordert, ein Gesetz über „die Nutzung der Möglichkeiten des Sicherheitsdienstes“ bei der Auswahl der Kandidaten für staatliche Ämter zu verabschieden. Man könne sich ja vorstellen, wie die alten KGBler in solchen Fällen ihre Datenbänke nutzen würden. Der Gesetzentwurf wurde in Sankt Petersburg zwar abgeschmettert. Nun drohe aber, daß ein ähnlicher Entwurf in Moskau verabschiedet wird. Dann würde „der Willkür und Allmacht des Sicherheitsdienstes eine gesetzliche Form verliehen“.

Aus dem KGB ging nach dem Putschversuch Ende 1991 das „Ministerium für Sicherheit“ hervor. Wie beim Vorgängerapparat bleibt auch dessen Ausmaß und Organisation eine weitgehend unbekannte Größe. Den offiziellen Angaben über 140.000 Mitarbeiter steht die Schätzung der Bürgerrechtsgruppe von mindestens 600.000 entgegen. Auch der Etat ist geheim: Keiner weiß, wieviel Geld das Stasi-Monster verschlingt. Pystinzews Hoffnung beruht letztlich auf sich ändernde Parlamentsmehrheiten. Der Gesetzgeber könnte dann versuchen, über eine parlamentarische Kontrolle den Geheimdienst soweit als möglich an die Leine zu legen. Von dessen Reformierung will Pystinzew nichts mehr hören. Der Dienst gehört für ihn aufgelöst. Denn: „Der KGB ist eine Krebszelle.“ Wolfgang Gast