Hilfe für Rußland blieb bislang symbolisch

An den Dollar-Regen muß man in Rußland schon glauben. Schon von den 1992 versprochenen 24 Milliarden wurde nur ein Bruchteil ausbezahlt.

„Sie verkaufen unser Land doch aus“, entrüstet sich die ältere Frau eines Offiziers vor Moskaus größtem Kaufhaus GUM direkt gegenüber dem Kreml. Die Dame hat sich soeben gegen Valuta mit Parfüm aus dem Hause Jil Sander eingedeckt. Moskaus traditionsreichstes Kaufhaus ist in der Tat in den letzten beiden Jahren zum Konsumtempel des Westens geworden. Eine namhafte westliche Firma neben der anderen hat sich hier niedergelassen. Einheimische Unternehmen weichen oder werden in unattraktive Ecken verbannt. Die Währung ist der Dollar, wo er nicht herrscht, der Rubel — nach dem Tageskurs. Natürlich zahlen die Firmen auch für westliche Verhältnisse eine horrende Miete. Zum Verkauf stehen historische und traditionsreiche Gebäude und Grundstücke in Moskau nicht, auch wenn es hier und da heißt, die Stadtregierung habe gegen entsprechende Hilfeleistungen ein Auge zugedrückt.

Westliche Investitionen, so rar sie im Produktionsbereich sind, bieten ein weites Feld für Mythen und Vorurteile. Die politisch Verantwortlichen tun wenig dafür, den Bürger aufzuklären, welche Vor- und Nachteile mit westlichem Engagement verbunden sind. Mit der Unkenntnis der Bürger und dem seit Generationen gewachsenen Isolationismus der Russen können reaktionäre Kräfte ihr politisches Süppchen kochen — gar nicht mal immer unter Zuhilfenahme zurechtgebogener Fakten. Von den 1992 versprochenen 24 Milliarden Dollar gelangte nur ein Bruchteil nach Moskau. Diesmal trug nicht die korrupte einheimische Bürokratie die Schuld, in deren Fingern auf mysteriöse Weise gewöhnlich zwischen 40 bis 60 Prozent der Gelder verschwinden. Die Hilfe blieb schlicht auf dem Papier.

Jelzins Gegner haben leichtes Spiel, dem Präsidenten Gutgläubigkeit vorzuwerfen. Der Präsident setzte von Anfang an zu sehr auf die westliche Karte. Nach dem Münchner G-7-Gipfel im letzten Sommer erlosch aber das Interesse des Westens; er war nur noch mit sich selbst beschäftigt. Die anvisierten Hilfsprogramme ließen es an konzeptioneller Verve fehlen und trugen den russischen Besonderheiten kaum Rechnung. Statt Hilfe zu präsentieren, meldeten sich die Gläubiger der Milliardenkredite aus Sowjetzeiten. Der Internationale Währungsfonds drängte Rußland, seine Auflagen einzuhalten, als wäre es irgendeine Bananenrepublik. So etwas muß bei vielen Russen Mißtrauen wecken. Es kränkt ihren Stolz.

Wasser auf die Mühlen der alten Garde

Den konservativen Speerspitzen des alten Regimes indes goß es Wasser auf ihre Mühlen: Die USA hätten Interesse an einem schwachen Rußland. Dieser Argwohn läßt sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Und es hat um so verheerendere Folgen, als die alte Supermacht noch immer nicht zu einer neuen Rolle gefunden hat. Je schwächer der Bär, desto weniger wird er sich — und sei es im Interesse des eigenen Fortschritts — von seiner ambitionierten Großmachtrolle lösen wollen.

All das verlangt außerordentliches Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Russen — egal wo diese politisch stehen, seien sie westlich orientiert oder Befürworter eines eigenen, spezifisch russischen Weges. Die nationalpatriotischen Kräfte greifen hierzu auf Vorstellungen der Slawophilen zurück, die Rußland schon im 19. Jahrhundert auf einen Sonderweg schicken wollten, fernab des Westens. Heute — in ihrer Hilflosigkeit — definieren sie Rußland wieder als eurasische Vormacht. Auch Jelzin griff diesen Terminus auf, um sich vorsichtig vom Westen zu distanzieren und seinen innenpolitischen Gegnern entgegenzukommen. Man muß die Russen im Glauben lassen, daß sie diese Rolle tatsächlich ausfüllen. Die Kraft dazu haben sie ohnehin nicht.

Hilfe fängt im kleinen an. Mit Milliardenprogrammen, „von oben“ ausgeschüttet, kann man die russische Wirtschaft nicht umstrukturieren. Ein strategisches Programm muß her, das im Einzelfall hilft, aber langfristig doch einen Strukturwandel bewirkt. So etwas können die Russen nicht allein bewältigen. Denn es fehlt an fast allem. Am Know-how, an der Infrastruktur und auch noch an der Mentalität, die einen Systemwandel trägt und ihn unumkehrbar macht. Hilfen von unten müssen zentrale Maßnahmen flankieren. Noch immer ist es für kooperationswillige russische Firmen ein immenser Aufwand, westliche Ansprechpartner zu finden, Reisen zu planen, Finanzierungen für neue Technologien aufzutreiben und nicht zuletzt dann auch den Zugang zu westlichen Märkten zu erhalten. Um einen Kulturwandel — und das wäre es im Endeffekt — zu bewerkstelligen, muß eine viel breitere Hilfe im Ausbildungssektor geschaffen werden. Schulen, Universitäten und Technologiezentren müßten her, um das human capital zu fördern. Dann sähen die Russen, daß etwas geschähe. Vor allen Dingen hätten auch diejenigen etwas davon, die nicht zu den direkten Gewinnern der wildwüchsigen Reformen gehörten. Den Westen würde es zwingen, Rußland als das wahrzunehmen, was es ist: noch keine Demokratie und keine Marktwirtschaft. Im Westen reichte dazu ein Blick in die eigene Geschichte. Klaus-Helge Donath, Moskau