: Joschka zieht die Schraube an
■ Fischer und Töpfer drohen der Hoechst AG mit dem Entzug von Betriebsgenehmigungen
Frankfurt am Main (taz) – Nach dem dritten schweren Störfall bei der Hoechst AG innerhalb von nur sechs Wochen, bei dem am Freitag das aggressive Gas Oleum freigesetzt und 13 Arbeiter verletzt wurden, ist der hessische Umweltminister Joschka Fischer mit seiner Geduld am Ende. „Dem Vorstand der Hoechst AG muß klargemacht werden, daß es so nicht weitergehen kann“, erklärte er am Samstag nach einem Treffen mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) auf dem Rhein-Main-Flughafen. Fischer lud den Vorstand der Hoechst AG für heute morgen zu einem Gespräch in das Wiesbadener Umweltministerium vor. Er hatte bereits am Abend zuvor erklärt, daß nach den einschlägigen Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes umgehend die Frage nach der Zuverlässigkeit der Betreiber gestellt und „juristisch wasserdicht“ beantwortet werden müsse.
Ob die mögliche Feststellung der Unzuverlässigkeit der Betreiber Auswirkungen auch auf die laufenden Genehmigungsverfahren bei beantragten Neuanlagen der Hoechst AG habe, vermochte Fischer noch nicht zu sagen. Brisanterweise liegen im Technischen Rathaus in Frankfurt zur Zeit die Antragsunterlagen der Hoechst AG für den Betrieb einer gentechnischen Anlage im Stammwerk in Höchst zur öffentlichen Einsicht aus. Das Anhörungsverfahren dazu soll Mitte des Jahres im Frankfurter Stadtteil Höchst stattfinden.
Nachdem auch Bundesumweltminister Töpfer seinem Kollegen Fischer die „volle Unterstützung“ zusicherte, dürfte es den Vorständlern der Hoechst AG demnächst tatsächlich an den weißen Kragen gehen. Nach der schwarzen Serie ist auch für Töpfer – neben technischen Unzulänglichkeiten – ein „Organisationsverschulden“ nicht länger auszuschließen.
Mit der von Fischer angekündigten Überprüfung der Zuverlässigkeit der Anlagenbetreiber nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz muß nach Auffassung Töpfers vordringlich geklärt werden, ob die Hoechst AG aus wirtschaftlichen Interessen möglicherweise die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung und der Belegschaft grob vernachlässigt habe. Der Bundesumweltminister forderte die „lückenlose organisatorische Trennung“ der Verantwortlichkeiten zwischen Produktions- und Sicherheitsbereich – „vom Vorstand bis zum Betriebsmitarbeiter“.
Im Anschluß an das Gespräch mit Töpfer richtete Fischer einen Appell an die Kapitaleigner der Hoechst AG. Auch die Aktionäre müßten ein Interesse daran haben, daß in Zukunft der sichere Anlagenbetrieb im Vordergrund aller Überlegungen steht. Weder er noch Töpfer wollten die deutsche Chemieindustrie vertreiben. Doch wenn sich der Störfallhorror fortsetze, werfe die Chemieindustrie selbst die Frage nach der Zukunft des Chemiestandortes Deutschland auf.
Töpfer kündigte an, die von Fischer eingeleiteten und anvisierten Kontrollmaßnahmen auf alle Chemieanlagen in der Bundesrepublik ausdehnen zu wollen. Dabei müsse es sowohl um die Verbesserung der Sicherheitstechnik und der innerbetrieblichen Organisationsstrukturen als auch um eine Optimierung der Verwaltungsvorschriften in Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesministern gehen.
Nachdem am Freitag zu allem Überfluß auch noch 4.000 Liter Salzsäure aus einem anderen Hoechst-Werk in Griesheim in den Main geflossen waren, erklärten die Grünen im Frankfurter Römer, der Vorstand habe nach dieser ungeheuerlichen Störfallserie dem Aufsichtsrat sein Rücktrittsgesuch einzureichen. Dagmar Enkelmann, Bundestagsabgeordnete der PDS/ Linke Liste, forderte, Hoechst die Betriebsgenehmigung zu entziehen, da die Firma nicht in der Lage sei, einen „Normalbetrieb“ in ihrer „Chemieküche“ zu gewährleisten. kpk Seiten 6 und 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen