Hafenarbeiter fordern Altenwerders Leiche

■ ÖTV unterstützt Hafenerweiterungspläne in Altenwerder und Vertiefung der Elbe / ÖTV-Chef Rolf Fritsch hilft Voscherau

in Altenwerder und Vertiefung der Elbe / ÖTV-Chef Rolf Fritsch hilft Voscherau

Wenn am kommenden Mittwoch der ÖTV-Bezirksvorstand zusammentritt, wird sich Hamburgs größte Gewerkschaft mit überwältigender Mehrheit hinter zwei milliardenschwere Großprojekte stellen. Stadtchef Henning Voscherau darf sich auf ein klares „Ja“ zur Hafenerweiterung auf den Ruinen des Fischerdorfes Altenwerder und ein bedingungsloses „OK“ zur Vertiefung der Unterelbe freuen.

Beide Male ragen die Gesamtkosten locker in den zehnstelligen Bereich. Selbst Wirtschaftssenator Hans-Jürgen Krupp, am Mittwoch Stargast der ÖTV, wird von soviel Wachstumsbegeisterung überrascht.

Krupp ist zwar Fan der Hafenerweiterung, aber immerhin stiller Skeptiker in Sachen Elbvertiefung.

Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt: In wenigen Tagen läuft die Einspruchsfrist im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für Altenwerder ab. Rolf Fritsch, schwergewichtiger Häuptling von 72000 GewerkschafterInnen: „Wir werden der Minderheit bei uns, die gegen diese Projekte ist, aber freistellen, sich mit Einwänden im Planfeststellungsverfahren zu beteiligen.“ Wie Fritsch stehen auch die ÖTV-Spitze und die Abteilungen Seefahrt und Hafen fest hinter den Expansionsprojekten des Senats. Einzig einige ÖTV-Mitarbeiter in

1der Umweltbehörde runzeln noch heftig die Stirn. Dabei hat gerade die Umweltbehörde mit ihrem 60-Millionen-Mark Projekt zur Öffnung der Süderelbe (die taz berichtete) erst die Voraussetzungen für die bis jetzt so reibungslose Planung von Elbvertiefung und Hafenerweiterung geschaffen: Die künftige Salzwasserspülung des heutigen Süßwasserbiotops gilt als vorweggenommene „ökologische Ausgleichsmaßnahme“.

Grundlage des ÖTV-Beschlusses ist ein detailliertes 14seitiges „Positionspapapier zur Hafenpolitik“, welches den Wachstumskatechismus der Hafenlobby geschickt recyclet. Die ÖTV: „Hafenerweiterungen sind strategische Entscheidungen, die tief in das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Gefüge der Stadt eingreifen. Sie setzen gründliche Analysen, fundierte Prognosen und verantwortliche Maßnahmenpläne voraus“. Zum Glück weiß ÖTV schon, was Sache zu sein hat: Hamburg wächst. Der Hafenumschlag wächst. Die einmalige Chance der Einheit und der Öffnung Osteuropas verlangen eine expansive Hafenpolitik. Großflächige neue Containerterminals mit angeschlossenen Umschlags-, Lager- und Transporteinrichtungen müßten her, selbst wenn der Bedarf dafür noch nicht vorliege. Die Stadt müsse sich frühzeitig neuen „Entwicklungs-

1trends“ stellen, statt später bloß zu reagieren.

Bei derart gründlicher Analyse kann es nicht verwundern, daß Fritsch auf ein ÖTV-Hafen-Hearing verzichtete, bei dem kompetente Befürworter und Kritiker dieser

1Art von Hafenentwicklung zu Wort hätten kommen können. Dabei hatte Fritsch noch im Februar '92 Senat, ÖTV und politische Beobachter mit einem groß angelegten Kongreß „Stadt der Zukunft - Zukunft der Stadt“ verblüfft, der mit geschickt inszenierten kontroversen Debatten Anspruch auf kreative Mitgestaltung der Stadtzukunft erhob.

Davon war jetzt nichts zu spüren. Im Gegenteil: Kompetente Kritiker althergebrachter Wachstumsstrategien, so beispielsweise TU-Professor Dieter Läpple, wurden nicht einmal gefragt. Dabei sind zentrale Hafenthesen der ÖTV in der Fachwelt heftig umstritten: Die Vertiefung der Unterelbe, so die Kritik, ist völlig überflüssig. Hamburg wird auch ohne neue Baggerei Europas dynamischster Containerhafen bleiben. Minimal verlängerte Warteschleifen in der Deutschen Bucht und in Ausnahmefällen mal ein bißchen weniger Ladung werden Hamburg nicht abhängen. Vernünftige Hafenerweiterung, so die zweite zentrale Aussage der Kritiker, ist auch ohne Altenwerder möglich. Moderne Ha-

1fenlogistik-Konzepte, kluges Flächenmanagement und realistische Einschätzung der Modernisierung der Umschlagstechniken am Pier und auf dem Schiff ermöglichen Umschlagswachstum auch im heutigen Hafengelände. Drittes Argument: Hamburg muß endlich alternative Nutzungspläne für die Flächen der Hamburger Stahlwerke und der Aluwerke vorlegen, die beide mit großer Wahrscheinlichkeit das Jahr 2000 nicht mehr erleben.

All das spielte in der ÖTV-Meinungsbildung kaum eine Rolle. Immerhin verlief die Mehrheitsbildung diesmal offenherziger als früher, wurden die Kritiker stets informiert, ihre Papiere brav in die ÖTV-interne Umlaufbahn geschossen. Auch GAL-Wirtschaftsexpertin Krista Sager darf Fritsch ihre Kritik noch einmal persönlich übermitteln — am Abstimmungsergebnis wird das nichts ändern. Ex- GAL-MdBü Michael Pollmann, heute Umweltbehörde: „Der Mann gefährdet Rot-Grün 1995. Ist ihm das überhaupt klar? Oder will er etwa eine große Koalition?“ Florian Marten