■ Gedanken eines serbischen Oppositionellen
: Januskopf Deutschland

Die deutsche Luftwaffe fliegt wieder über Bosnien. Ein halbes Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholt sich, im Bewußtsein vieler Menschen im südslawischen Raum, die Geschichte. Obwohl diesmal deutsche Militärflieger (noch) Hilfsgüter abwerfen und obwohl sie jetzt Seite an Seite mit Amerikanern und Franzosen in der Dunkelheit Bosniens nach ihren Zielen suchen, so empfinden viele Serben, Kroaten und Mosleme eine Art Bestätigung ihrer im kollektiven Geschichtsbewußtsein vorhandenen Vorurteile oder Erwartungen. Für die meisten Serben hat Deutschland seine historischen Verbündeten auf dem Balkan noch einmal im Vernichtungskrieg unterstützt. Es spricht für sich, daß so viele Cafés in Kroatien die Namen der neuen Ehrenbürger einiger kroatischer Städte, Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, tragen.

Kein anderer Staat hat sich soviel in den Zerfall Jugoslawiens eingemischt. In keinem anderen Staat waren Politiker und Presse aller Couleur derart einmütig in ihrer Haltung. Kein anderer Staat Europas trägt soviel Mitverantwortung, historisch und aktuell, für den hiesigen Stand der Dinge. Aber kein anderer Staat hat auch so viele Flüchtlinge aus Jugoslawien aufgenommen und soviel finanzielle Hilfe geleistet. Die Flüge über Bosnien können deswegen sowohl als Fortsetzung der humanitären Hilfe wie auch machtpolitischer Einwirkung aufgefaßt werden.

Sie sind beides, obwohl Deutschland nur ersteres zusteht. Nicht nur, aber vor allem wegen der Geschichte. Aber auch, weil die Nationalchauvinisten und verantwortungslosen Fanatiker in Belgrad, Zagreb und Sarajevo von der deutschen Parteinahme profitieren – sie alle nutzen aus, daß Deutschlands Innenpolitik („Wir wollen wieder ein normaler Staat werden“, wie Außenminister Klaus Kinkel jüngst in der FAZ schrieb) seine Fortsetzung auf dem Balkan findet. Jedesmal, wenn der deutsche Außenminister in Erwartung vorteilhafter Reaktionen in der Presse fordert, Serbien müsse in die Knie gezwungen werden, verlängert er das Leben der Regime im Dreieck Belgrad, Zagreb, Sarajevo. Und damit nicht nur das Sterben der Menschen auf dem Balkan, sondern auch der mühselig in der Nachkriegszeit aufgebauten zivilen politischen Kultur in Deutschland. Dušan Reljić

Journalist des Belgrader Nachrichtenmagazins „VREME“