„Ich bin doch über zehn“

■ An der Kurfürstenstraße werden die Kiffer immer jünger – ein Interview

taz: In den letzten Wochen habe ich dich öfter hier an der Imbißbude Kurfürsten-/Ecke Potsdamer Straße gesehen. Immer in der Nacht. Wieso bist du eigentlich nicht im Bett? Du bist doch bestimmt erst sieben Jahre alt.

Volker (Name von der Red. geändert): Was geht dich das an, bist du eine Sozialtante?

Bekannte haben mir gesagt, du wärst hier der jüngste Kiffer am Platz.

So'n Quatsch. Ich bin über zehn. Ich kenne welche, die sind erst neun. Außerdem bin ich kein Kiffer, sondern zieh' mir ab und zu einen rein. Das geht dich nichts an.

Und wie oft machst du das?

Unterschiedlich. Im Winter öfter, da bin ich mehr zu Hause. Ich habe eine Hifi mit CD, und mein Bruder raucht auch. Der ist sechzehn. Jetzt nehme ich vielleicht so vier Krümel die Woche. Das erste Mal probiert habe ich das so vor zwei Jahren.

Hast du denn soviel Taschengeld?

Nee, das reicht nicht. Von meinen Alten krieg' ich nur fünf Mark die Woche. Das geht klar drauf. Aber ich krieg' öfter was von meinem Bruder oder seinen Freunden.

Hast du schon mal geklaut, um denen auch was zu schenken?

Das läuft nicht so, wie du denkst. Wir rechnen nicht, der und der hat mir was gegeben, also muß ich ihm auch was geben. Wer hat, der hat eben und teilt es. Aber besorgt habe ich schon öfter was. Schokolade von der Tankstelle oder so Sachen aus Woolworth. Obwohl die nur Scheiß haben.

Bist du schon mal erwischt worden – mit einem Joint oder bei Woolworth?

Ich bin doch nicht blöd. (lacht) Die Bullen haben hier echt Streß mit denen auf Äitsch (Heroin). Die kiffen doch selbst. Das weiß doch die ganze Straße. Die sind ja so was von blöd. Entweder machen sie auf Rocky (Boxweltmeister, Anm. d. Red.) oder auf die Sozialtour. Genau wie du. Warum fragst du nicht, wie meine Alten das finden?

Genau.

Die wissen es nicht. (lacht schallend) Meine Mutter arbeitet in einer Zoohandlung und mein Alter beim Staat. Abends hängen die vorm Video. Die denken, ich penne schon, die gucken nie nach, wo ich nach der Tagesschau bin. Und mein Bruder ist in Ordnung. Wir haben ein Zimmer zusammen.

Bist du morgens nicht müde, du mußt doch in die Schule?

Bei uns pennt doch die ganze Klasse. Ich geh' in eine Gesamtschule.

Willst du mal was werden?

Ich bin doch schon was. (tippt sich an die Stirn und geht) Interview: Anita Kugler