Politische Partizipation – als Konjunkturprogramm Von Andrea Böhm

Mit dem Schlagwort „politische Partizipation“ verbindet man dieser Tage einen äußerst zähflüssigen Prozeß. Bilder von unwilligen Menschenmengen drängen sich auf, denen mühsam eine Meinung, eine Beitrittserklärung oder eine Wahlstimme aus der Nase gezogen wird. Niemand käme als erstes auf den Gedanken, daß politische Partizipation enorm konjunkturfördernd ist – vor allem, wenn es die mittleren und oberen Einkommensschichten sind, die partizipieren sollen. Lediglich die neue US-Regierung hat das sofort begriffen und ebenso genial wie unauffällig in ihr Wirtschaftsprogramm integriert. Das Rezept ist denkbar einfach: Man versetze zuerst möglichst viele Leute möglichst häufig durch Reformvorschläge, Versprechungen, Haushaltspläne oder präsidiale Exekutiverlässe entweder in Rage oder in Verzückung. Sodann hüte man sich davor, ihre Reaktionen zu ignorieren, sondern lasse sie ausführlich zu Wort kommen. Das dient im Zweifelsfall nicht nur der Horizonterweiterung der Exekutive, sondern belebt auch den Kommunikationssektor, die Tourismusbranche und die Gastronomie. Nehmen wir zum Beispiel das Clintonsche Wahlversprechen, das US-Gesundheitswesen zu reformieren. Kaum waren die ersten Vorschläge zur Kostendämpfung bei Arzthonoraren auf dem Tisch, stürzten 1.000 Weißkittel zum Krisentreffen nach Washington – und füllten in dem Bestreben, ihre eigenen Pfründe zu sichern, erst einmal die Kassen der Hotels, Restaurants und Taxifahrer mit rund 600.000 Dollar. Ähnlich wirtschaftsfördernd verhalten sich zur Zeit Vertreter der Pharmaindustrie. Das Ehepaar Clinton hat unlängst öffentlich erklärt, daß ein beklagenswertes Mißverhältnis zwischen der Profitentwicklung der Branche und der Gesundheit der Bevölkerung herrscht. Rein in den Flieger und ab nach Washington, um den Lobbyisten und Abgeordneten ordentlich Dampf zu machen. So viele Pharmavertreter wie in den letzten Monaten gab's dort während der gesamten Amtszeit von Reagan und Bush nicht. Nehmen wir zum Beispiel das Clintonsche Versprechen, auch nach der Wahl auf das Volk zu hören. Nun kann Billary nicht permanent zum Zwiegespräch mit Jean und John Doe (Lieschen und Hans Müller) durch das Land reisen. Aber die Does können jederzeit einen der Computerdienste wie „Compuserve“ oder „Prodigy“ abonnieren, das Kommando „Go White House“ eingeben und entweder Clintons jüngste Ansprache in Vancouver kommentieren, ein Protokoll des Presse-Briefings vom Tage oder ein Foto des Präsidenten bestellen.

Nehmen wir, last not least, das Clintonsche Wahlversprechen, den Bann gegen Homosexuelle in der Armee aufzuheben. Nachdem sich der Präsident nun nicht mehr sicher ist, ob er das Versprechen halten will, haben sich über eine Million Lesben, Schwule und sympathisierende Heteros zur Großdemo am 25. April angesagt. Da klingeln die Kassen bei Fluggesellschaften, Eisenbahn, Autoverleih-Firmen, Fastfood-Industrie und Souvenirverkäufern. Die Hotels sind von der Prunk- Suite bis zur Fußmatte ebenso ausgebucht wie meine Wohnung. Ich bin bloß zu blöd, daraus ein Geschäft zu machen.