Party Vibes für den Rest des Jahrtausends

■ Auf dem Weg zum Club Mediterranée: Die Stereo MC's in Berlin

Noch die letzte Nappa-Lederjacke weiß, was die Stunde geschlagen hat: Wer jetzt einigermaßen unbeschadet als jugendlicher Spät- Twen bis zur Jahrtausendwende durchrutschen will, muß sich mit HipHop rüsten. Während Nike am multikulturellen Image des avancierten Afroamerikaners bastelt, und dabei Body & Soul mit Basketball und Operette abgleicht, lernt der weiße Mittelstand über seine protestantischen Hemmschwellen hinaus ein bischen Barbarei zu erleben. Langsam macht die Vorstellung vom Leben auf der Straße auch den Bürgerinnen und Bürgern Spaß. Die Nation of Islam wird in Zukunft mit dem Club Mediterranée konkurrieren.

Beim Konzert der Stereo MC's sind die Vorzeichen kaum anders. Zweitausend junge BeamtInnen trampeln sich zu Tanzrock die Seele in den Leib, aber außer Schweiß und Bier fließt hier gar nichts. Die „right vibes“, nach denen Galliano noch suchen zu müssen meint, bleiben von vornherein bloße Makulatur, nach der die schlechtgelaunten Menschen von der Sicherheit eifrig Ausschau halten. Wer sich zu sehr mit der Masse treiben läßt, fliegt raus. Außerdem observieren zwei Drogenfahnder in Zivil das Treiben ihrer freizeitgestaltenden KollegInnen.

Von all dem hochstaplerischen Homeboy-Illusionismus scheint auf der Bühne nichts anzukommen. Die Stereo MC's spulen ihr spiritistisches Programm vom allgemeinen „Connected“-Sein ohne Rücksicht auf den Erfahrungsverlust ihrer Klientel ab. Der politische Zweck der street culture wird mit dem Werdegang vom Ghetto in die Charts nicht mehr nachvollzogen, sondern als wohlige Übereinstimmung mit dem massenhaften Pop-Appeal nur noch symbolisch vereinnahmt. Von HipHop sind nur Spurenelemente übriggeblieben: Ein altes „Aqua-Boogie“- Sample, die tiefen Raggaebässe und jener Beat, der im Grunde längst zur Parodie eines rhythmischen Feingefühls geworden ist. Die Menschen tanzen nicht, sie schlurfen – so assimiliert man Party-Kultur 1993. Darüber macht sich auch Rob B., der ab und an per Mikrofon zum Weltfrieden aufruft, keine falschen Vorstellungen mehr. Wenn auf seine Forderung „Berlin are you ready?“ ein Tosen durch die Halle dröhnt, ist er in Gedanken längst woanders – „Connected“, wie vor ihm schon zig Rockstars von den Stones bis zu den Simple Minds. Mit Sex & Drugs & Rock'n'Roll. Vielleicht kann der Mann im Jeansanzug, der aufs Haar dem ausgemergelten Van Gogh ohne Ohr ähnelt, nicht einmal etwas dafür, daß all seine gutgemeinten Beatnik-Weisheiten von Vermischungen jedweder Art auf dem Grund der tiefen Seele heute nirgends mehr fruchten. Wenn er von Visionen und Erleuchtungen spricht, werden dem Publikum herumschwirrende Laserlichter und explosionsartig aufblitzende Heizröhren als Sinnbilder der magischen Initiation geboten. Doch die Lichtmetapher als Quell der Inspiration geht in der militärisch akkuraten Umsetzung durch die Technik in der Praxis unter. Dann täuscht das Produktionsspektakel über den Mangel an Kommunikation hinweg. Es ist wie bei U2: Auf die Frage des Rappers antwortet eine Videowand. Bono Vox hat Konkurrenz für die Zoo- Tour im Sommer bekommen. Harald Fricke