Der gute Mensch von Düsseldorf

In Gummi kommen oder mit der Herrin Gassi gehn: Anna Domina bietet „die Wahl der Qual“  ■ Von Anke Westphal

Sado/Maso ist ja inzwischen offiziell modern, in einer 300-Seiten- Studie als Phänomen der Zivilisation sogar wissenschaftlich erforscht, aber Dominas haben es trotzdem nicht leicht. Nehmen wir zum Beispiel die Profi-Domina Anna, die eine „authentische Person“ aus Düsseldorf ist (Gabriele Hohn) und sich, wie die anderen Darsteller im ersten deutschen S/ M-Dokudrama „Wahl der Qual“ auch, selber spielt.

Anna Domina ist eine wirklich schöne Frau, wie sie sich da morgens im Bett ihr glänzendes rotes Haar zurechtschüttelt und auf dem Balkon eine Prise Sehnsucht nach einem schöneren Leben schnuppert. Man fühlt sich ein bißchen an die sonnigen Anfänge von „Playboy-Pornos“ erinnert, doch schon beginnt Annas harter Alltag, ganz in kirschrotem Lippenstift, sexy schwarzer Arbeitskleidung und auf High-Heels, wie es sich für eine Domina eben so gehört. Anna steigt in die Straßenbahn und meint im Gedränge einen Frotteur an sich zu spüren, auch noch schlecht angezogen und mit Nackenlocken.

Falsch!, falsch!, denn es ist nur Karl-Heinz/Computer-Consulting, der so gut wie pleite ist und außerdem gerne eine Frau wäre, aber nicht so recht weiß, wie er das anstellen soll. Anna wird ihm auf die Sprünge helfen, aber zuerst muß sie in ihr Büro, welches „Moderne Creation“ heißt, um den Anrufbeantworter abzuhören.

Und hier beginnt, was man sich von diesem Film erhofft hat: „Hallo, hier ist Hermännchen; ich komm' nachher ganz in Gummi!“, „Hallo, hier ist Werner, ich wichse zuviel und komm mal vorbei“ etc. pp., und, am niedlichsten: „Halloooho, hier ist das Doktorchen. Ich würde gern wieder mal mit meiner Herrin Gassi gehen.“

Man beißt sich einfach ins Knie vor Heiterkeit, wenn die Herren dann leibhaftig im Studio antreten. So etwas ungeniert B-Movie-haftes mit Siebziger-Jahre-Appeal war doch eigentlich, dachten wir, ausgestorben! Mit „Wahl der Qual“ scheint es aber wiedergekehrt; allein der Filmtitel wäre einen „Felix“ wert, und die Plastik- Klischees aus dem wahren Leben funktionieren auch noch in geiler Lustigkeit. Anna öffnet eine weitere Bürotür, hinter der ein wabbeliger Fast-Nackedei mit Metallica- Halsband seiner Domina beflissen den Boden scheuert. Sklave Theo liegt im Clinch mit der Gattin – „Herrin, mach et mirr!“ und: „Is dat jeil!“ stammelt er auf gut kölsch. Anna hat es zwar ein bißchen satt, aber Mitleid und erhebt die Peitsche; selbst ihr wuscheliger Kampfhamster zieht den allerlei gewöhnten Hundekopf ein.

Anna ist der gute Mensch von Düsseldorf, Geschäftsfrau mit Willen zur Cleverness, die dann aber doch betrogen wird. Von Karl- Heinz zuerst, als der schon Clarissa ist, Geld veruntreut und platonisch über Menstruationsprobleme zickt, obwohl „Frauen doch zusammenhalten sollen“.

Anna, eine Wucht an Mensch, wirkt als Therapeutin und Eheberaterin, sitzt als Vamp dem dauergewellten Hausputtchen Elke gegenüber und rät zur „Begegnung“ mit dem Gemahl Theo – das würde anderswo als Typenschablone langweilen, macht aber vollkommenen Sinn innerhalb dieser Ästhetik, die irgendwo zwischen wohlfeil, Fake und Wahrhaftigkeit angesiedelt ist. Die „Behandlung Verdroschenwerden“ als Herstellen eines Kontakts, als Kommunikation und also mögliche Lustquelle zu interpretieren, ist nun mal nicht so abwegig.

Anna schult andere Frauen in Folter-Theatralik; die S/M-Gesten müssen großartig daherkommen, das gehört zum Spiel. Nur fallen auch die Selbstreflexionen immer eine Spur zu druckreif aus, das leidige Diskutieren ist eine Nummer zu groß konstruiert in der Anstrengung, den tatsächlichen Ernst des Lebens in der Grauzone transportieren zu wollen.

Schade, aber auch wieder nicht sooo störend, denn „Wahl der Qual“ verliert nie den lächelnden Blick auf das streng Kodifizierte von S/M-Praktiken. Diese Dialoge, Gerätschaften, Accessoires – eine Space Oddity, in der zum Beispiel ein bankrotter, hühnerbrüstiger Student zu den Klängen von „Ach, du lieber Augustin“ auf allen vieren über den auberginefarbenen Teppichboden krabbelt, wozu ihm das Märchen von der bösen Domina vorgelesen wird. „Hau die Maus!“ schmunzelt hier nicht nur Kollege Galenza, denn solche Szenen anzuschauen, macht kinderfröhlich.

Die zweideutige Spielerei mit Sekt, Kaviar und Yuppie im Nobel-Imbiß ist da schon anderen Kalibers, beläßt es aber beim Symbolischen. „Bei den Szenen im Domina-Studio fängt die Kamera echte S/M-Behandlungen für das Auge des Zuschauers ein, die nicht gestellt sind.“ Die schärfste, am schönsten choreographierte ist die, in der Anna im Vater-Look, zu spanischen Klängen, einen Masochisten mit ihren High Heels traktiert.

Gabriele Hohn praktiziert seit 1977 als Domina, mit artifiziellem Konzept zur „Förderung der sinnlichen Wahrnehmung“. „Das Geschäft läuft wie eine offene Wunde“, lauter kleine Gummibärchen und Latex-Freaks, die von der kompetenten Anna mütterlich-cool verpackt oder an Ketten aufgehangen werden wollen. Daß dies im Film so dicke politisch korrekt, nämlich explizit datenschützend geschieht, verdirbt dann wieder fast den Spaß, ebenso wie die rührselige Vater-Tochter-Szene. Hier war das Klischee mal die kleine falsche Wahrheit in der global richtigen: Anna ist allein, muß sich durchschlagen und fällt mit ihrem „zweiten Standbein“, einem „Design-Food“, wie jeder beliebige aufs Maul, haut nach Mallorca ab und kommt doch wieder zurück, denn: „Was soll'n denn die armen Kerle ohne mich machen: der Polizist, der Lehrer, der Oberlandesrichter...“ O weh!

Aber übersehen wir diesen Heroismus mal liebevoll, denn wie endet der Film? „Mehr Domina!“, weil wir mehr Breite in der Wirklichkeit brauchen, wie es der Schriftsteller Ingvar Ambjörnsen einst so weise formulierte.

„Anna Domina – Die Wahl der Qual“. Regie: Horst Schier, mit Gabriele Hohn, Theo Reitz, Gudrun Meyer u.a.; BRD 1991, 80 Minuten, freigegeben ab 18 Jahre