■ Die Immunschwäche der Kulturindustrie
: Michel Foucault als Aids-Metapher

Aids ist in Deutschland eine Krankheit und keine Metapher. Das kann man unter Rücksicht auf die Kulturindustrie durchaus bedauern – hat doch die Kunst der BRD bisher keine spektakulären Romane, Filme oder Opern aufzuweisen, die der Krankheit als identitätsbildender Macht rezensionswürdig Reverenz erweisen. Man kann aber auch den Umstand begrüßen, daß der Sozialstaat Deutschland einer Metaphorisierung der Immunschwächekrankheit Vorschub leistet: Wo eine Krankheit medizinisch und sozial noch als solche behandelt werden kann (weil Sozial- und Gesundheitssystem, obwohl ächzend, noch funktionieren), ist durch die Säkularisierung auch die Stigmatisierung der Opfer gering.

Susan Sontag hat in ihrem berühmten Essay „Krankheit als Metapher“ darauf hingewiesen, was passiert, wenn eine Krankheit (in ihrem Falle: Krebs) mit Bedeutung aufgeladen wird – mit archaischen Ängsten vor Unheilbarkeit und der Krankheit zum Tode, mit Seuchenangst und sozialen Ausgrenzungen. Sie hat vor allem einen Aufklärungsschub in seinen repressiven Auswirkungen analysiert: die Psychosomatik. Mit dem Satz „Frage Dich, warum gerade Du...“, so argumentierte sie, wird den Kranken neben dem Leiden an der Krankheit auch noch das Schuldgefühl oktroyiert – letzteres in ursprünglich aufklärerischer Absicht.

Der Spiegel, der seinen LeserInnen Foucault als Philosophen und Historiker kaum zugemutet hat, versieht in seiner laufenden Nummer den toten homosexuellen Franzosen mit einem Batailleschen Heiligenschein: der Autor von „Die Geburt der Klinik“, „Sexualität und Wahrheit“, „Die Sorge um sich“ sei nicht umsonst wohl ausgerechnet an Aids gestorben, habe sich der Krankheit und dem Risiko in die existentialistisch ausgebreiteten Arme geworfen... Die Pointe ist beinahe zu platt, um sie zu wiederholen, und sie wäre der Erwähnung nicht wert, würde nicht gerade damit (ausgerechnet von jenem Magazin, das derzeit einen Fünfziger-Jahre-Feldzug gegen Sex & Gewalt in den Medien führt) die reaktionäre Metaphorisierung wieder begonnen, die in der Stigmatisierung endet: Aids hast du? Schwul bist du wohl? Selber schuld!

Die ästhetische Erhöhung einer Krankheit ist vor allem ein gesellschaftlicher und individueller Reflex auf mangelnde Sozialleistungen: so einfach ist das. In Frankreich und den USA kompensiert die Kulturindustrie das Versagen des sozialen Systems, sind Heiligsprechung (bei ausgewählten Kulturträgern) und Stigmatisierung (der Namenlosen ohne Obdach und Versorgung) zwei Münzen derselben Medaille. In der BRD ist es bisher fast gelungen, Aids nicht als Metapher, sondern als Krankheit zu behandeln. Für die Kulturseiten der Magazine gibt das natürlich wenig her. Für den Tod auf Hochglanz wird die Franzosenkrankheit bei uns wieder eingeführt. Elke Schmitter