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Armenische Offensive hält an

■ 60.000 Aseris vertrieben/ UN-Sicherheitsrat tagte

Istanbul (taz) – Der armenische Angriff auf Aserbaidschan hält unvermindert an. Vorgestern begannen armenische Verbände mit schwerer Artillerie einen Angriff auf die aserbaidschanische Stadt Fusuli, der jedoch nach aserbaidschanischen Angaben gestoppt werden konnte. Rund ein Fünftel des aserbaidschanischen Territoriums ist mittlerweile armenisch besetzt. Die jüngste armenische Offensive hat die umstrittene Enklave Berg-Karabach in Aserbaidschan, die aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt wurde, mit Armenien verbunden. Der von Aserbaidschanern bewohnte Korridor zwischen Berg-Karabach und Armenien ist nach der Massenflucht in den vergangenen Tagen unter Kontrolle des armenischen Militärs. Nach Angaben des Flüchtlingsrates der UNO sind rund 60.000 Aserbaidschaner vertrieben worden. Ihre Flüchtlingstrecks ziehen jetzt durch eine schneebedeckte Gebirgsregion, um die aserbaidschanische Stadt Gence im Norden zu erreichen. Augenzeugen berichteten, daß viele aserbaidschanische Zivilisten auf der Flucht von armenischen Milizionären erschossen wurden oder an Kälte und Hunger starben. Die Moskauer Nachrichtenagentur Interfax meldete, daß auf zwei Lkws mit Flüchtlingen das Feuer eröffnet wurde. Dabei seien 60 Zivilisten getötet worden. Der Pressesprecher des aserbaidschanischen Präsidenten Ebulfez Elcibey befürchtet ein Massaker an den rund 15.000 Aserbaidschanern, die jetzt im Gebiet Kelbadschar eingekesselt sind. Die jüngste armenische Offensive hat die Zahl der Flüchtlinge in Aserbaidschan auf rund 270.000 erhöht.

Mit der armenischen Offensive ist die Aussicht auf eine friedliche Lösung des Berg-Karabach-Konfliktes praktisch zunichte gemacht worden. Die von der KSZE geleiteten Friedensgespräche in Genf, an denen Armenien, Aserbaidschan, Rußland und die Türkei teilnehmen, sind gestern ausgesetzt worden. KSZE-Berichterstatter Mario Rafaelli hatte Armenien aufgefordert, die Kämpfe einzustellen und sich aus Kelbecer zurückzuziehen. In einem Antwortschreiben stritt Armenien jede Verantwortung für den Vormarsch ab. Die armenische Armee sei nicht involviert, die Kampfhandlungen würden von den „Selbstverteidigungskräften“ der Berg- Karabach-Armenier getragen. Rafaelli bezeichnete das Antwortschreiben als „unzulänglich“.

Auf Antrag der aserbeidschanischen Regierung wurde gestern eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates in New York einberufen. Die Türkei verfügte eine Blockade gegen Armenien, von der auch internationale Hilfslieferungen und zivile Flüge nach Armenien betroffen sind. Die Botschafter der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates waren bereits mehrfach ins Außenministerium in Ankara zitiert worden. Die Türkei fordert eine schnelle Entschließung der UNO. „Unsere Geduld ist am Ende“, sagte Ministerpräsident Süleyman Demirel. Der türkische Staatspräsident Turgut Özal, der auf Staatsbesuch in den zentralasiatischen Republiken ist, will seine Route ändern und wird jetzt in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku erwartet. Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) verurteilte die „armenische Aggression“ ebenfalls. Ömer Erzeren

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