Daimler aus dem Takt

Kaum werden weniger Autos verkauft, versiegen die Geldquellen/ Auch Konzernumbau macht Probleme  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

„Wirklich positive Signale sind nirgends in Sicht, vielmehr müssen wir jeden Tag mit neuen negativen Nachrichten rechnen.“ Bei Daimler-Benz geht es in jüngster Zeit Schlag auf Schlag, da muß selbst Edzard Reuter, Denker und Lenker des größten deutschen Industriekonzerns, hellwach bleiben. Rezession, empfindliche Einbrüche beim Absatz, unkalkulierbare Belastungen durch Währungsturbulenzen – „noch nie war die Entwicklung so unübersehbar wie heute“, analysiert der Daimler- Chef die Lage. Kein Wunder also, daß die gestern vorgelegte Jahresbilanz 1992 „grundlegend anders“ als erwartet ausgefallen ist. Doch für den erfolgsverwöhnten Auto- und Technologiekonzern wird es in diesem Jahr noch schlimmer kommen: im ersten Quartal sackte der Umsatz gegenüber den ersten drei Monaten des Vorjahres um glatt 25 Prozent ein. Auch die dicken Gewinne gehören inzwischen der Vergangenheit an. Der Jahresüberschuß, 1992 bereits um ein Viertel zurückgegangen, dürfte in diesem Jahr nach Schätzungen der Konzernleitung um weitere 25 bis 30 Prozent sinken. So beinhaltete Reuters Analyse auch eine deutliche Warnung: Um 18.000 Mitarbeiter wurde die Belegschaft 1992 reduziert, 1993 sollen bislang 14.700 weitere eingespart werden.

So schwachbeinig kann doch Daimler-Benz nicht sein, daß schon eine Konjunkturschwäche den Weltkonzern ins Wanken bringt. Daß sich die Geschäftsleitung beim Schmieden ihres Gemischtwarenimperiums mächtig verrechnet haben könnte, davon will man bei Daimler aber nichts wissen. Allen Unkenrufen zum Trotz, so der dünnhäutig gewordene Konzernchef, werde man unbeirrt an der strategischen Linie festhalten.

Für Bilanzfeiern gelten freilich eigene Regeln. Es werden Reden gehalten, Visionen skizziert und Brötchen gereicht. Kein Anlaß also, Projekte grundsätzlich in Frage zu stellen oder sie kritisch zu hinterfragen. Dennoch gestand Reuter ein, daß das letzte Geschäftsjahr „sehr unbefriedigend“ verlaufen sei. Zwar hat sich die Daimler-Benz AG mit einem Umsatz von 98,549 Milliarden Mark weiter der magischen 100-Milliarden-Marke angenähert, doch der Zuwachs um nur zwei Prozent blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Und obwohl der Konzern einen Jahresüberschuß von 5,193 Milliarden Mark ausweisen kann, ist auch Finanzchef Gerhard Liener unzufrieden. Jahrelang hatte sich Daimler arm gerechnet, doch nach den einheitlichen Bilanzierungsgrundsätzen, die der Konzern auf seinem Weg an die New York Stock Exchange anwenden muß, sind darin außerordentliche Erträge von 4,49 Milliarden enthalten, die sich aus Vorräten und einer höheren Bewertung der Pensionsrückstellungen ergeben. Ohne diese Summe beträgt der Überschuß 1,451 Milliarden Mark – eine halbe Milliarde weniger als noch vor einem Jahr.

Als vor vier Jahren der Auto-, Technologie- und Rüstungskonzern geschmiedet wurde, ahnte in den Chefetagen noch niemand den Unbill der Geschichte. Doch mit dem Zusammenbruch des „Ostblocks“ gingen die Rüstungsaufträge nach und nach flöten, für die ohnehin umstrittene Raumfahrt fehlte plötzlich das Geld, und selbst die Luftfahrtindustrie muß angesichts des ruinösen Preiskampfs der Airlines zukünftig kleinere Brötchen backen. Zu allem Übel fing auch noch die Autokonjunktur kräftig zu stottern an.

Gegenwärtig läuft so gut wie alles gegen die Strategien des Konzernchefs Reuter. Dieser hatte nicht nur auf die ausgeliebenen Synergieeffekte, sondern auch voll auf die Ertragskraft von Mercedes- Benz gesetzt. Doch die Edelfirma (Umsatz: 66,48 Mrd. DM, Gewinn: 849 Mio. DM) befindet sich, beschleunigt durch die Autokrise, auf rasanter Talfahrt. 40.000 Autos und 17.000 Lastwagen wurden 1992 weniger verkauft; Zehntausende der Nobelschlitten stehen auf der Halde und warten auf Käufer. Das Jahresergebnis ist um fast die Hälfte eingebrochen, das reine Fahrzeuggeschäft schreibt sogar rote Zahlen.

Wird mit dem Auto aber kein Geld mehr verdient, gerät der Konzern schnell aus dem Gleichgewicht. Die Erwerbung AEG (Umsatz: 11,6 Mrd. DM, Gewinn: 10 Mio. DM), ein ewiger Sanierungsfall, ist längst zum Milliardendesaster geworden. Auch 1992 schrieb der Elektroriese im operativen Geschäft rote Zahlen; rund fünf Milliarden Mark dürfte den Autohersteller bisher sein erfolgloser Abstecher ins Reich der Elektronik gekostet haben. Händerringend sucht AEG-Sanierer Ernst Georg Stöckl für alle Geschäftsfelder nach finanzkräftigen Käufern oder Partnern – mal ist es der schwedische Marktführer Elektrolux bei Rührgeräten, Toastern und Waschmaschinen, mal Siemens bei den Bahnsystemen oder Mitsubishi bei der Problemsparte Mikroelektronik.

Kaum besser sieht es bei der Deutschen Aerospace (Dasa, Umsatz: 17,28 Mrd. DM, Verlust: 341 Mio. DM) aus. Seit der Fusion des Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsriesen aus MBB, MTU, Dornier und Telefunken Systemtechnik schrumpfen Auftragseingänge und Umsätze kontinuierlich zusammen. Bei Rüstung und Raumfahrt rächt sich nun die fatale Abhängigkeit vom Staat; der Versuch, das Firmenkonglomerat neu zu ordnen, schlug ebenfalls fehl. Dabei ist von Reuters ursprünglichem Konzept ohnehin nur noch der zivile Flugzeugbau ein Lichtblick. Vor allem der einst bei den Daimler-Vorständlern so ungeliebte Airbus hat es dem Konzern ermöglicht, die Bilanz weitgehend stabil zu halten. Doch auch hier droht Ungemach: Allein 1992 wurden über 70 Prozent der Bestellungen für große Verkehrsflugzeuge im selben Jahr wieder storniert. Nun soll ein 400 Millionen teurer Neueinkauf, der niederländische Traditionskonzern Fokker, zum weltweit führenden Hersteller von Regionalflugzeugen aufgebaut werden.

Bleibt vom Daimler-Torso also nur noch die Debis Inter Services (Umsatz: 7,34 Mrd. DM, Gewinn: 122 Mio. DM) übrig, die neben der Software-Entwicklung ihren Hauptumsatz mit Finanzdienstleistungen machen. Die Geschäfte laufen gut, doch die Sache hat einen Haken: Das Unternehmen hat einen gigantischen Liquiditätsbedarf, da mit Leasing und anderen Finanzierungsmodellen ein Gutteil des gesamten Daimler-Absatzes des kopletten Daimler-Konzerns gefördert und vorfinanziert wird.