Welt-Aids-Konferenz für die Reichen?

■ Wenn im Juni in Berlin die Welt-Aids-Konferenz beginnt, werden die Teilnehmer aus der Dritten Welt fehlen: keine Spenden aus der deutschen Industrie

Wenn auf dem 9. Welt-Aids- Kongreß im Juni in Berlin über AZT, über neue und alte Therapien, über Prävention und Aidspolitik, über Pflege und Forschung diskutiert wird, werden die Hauptbetroffenen von Aids nur in kleiner Zahl anwesend sein. 80 bis 90 Prozent aller HIV-Infektionen und Aids-Fälle werden in den Ländern der „Dritten Welt“ registriert. Doch unter den 15.000 Teilnehmern, die am möglicherweise größten Wissenschaftskongreß aller Zeiten in Berlin teilnehmen, werden vermutlich nicht einmal zehn Prozent aus den armen Ländern kommen.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat gestern in Berlin auf diesen Skandal hingewiesen. Zugleich gab sie das deprimierende Ergebnis ihrer Patenschaftsaktion bekannt. Mit Hilfe von Spenden sollte vor allem afrikanischen Aktivisten eine Teilnahme an dem Kongreß ermöglicht werden. Um dafür Spenden zu sammeln, hatte die DAH mit Unterstützung einer Werbeagentur nicht weniger als 20.000 mittelständische Unternehmen angeschrieben. Das Ergebnis: Zehn Unternehmen haben geantwortet, vier Unternehmen kündigten eine Spende an, 1.500 DM sind bis heute definitiv auf dem Spendenkonto eingegangen.

„In welchem Land leben wir eigentlich“, entfuhr es angesichts dieser niederschmetternden Bilanz einem Journalisten bei der gestrigen Pressekonferenz.

Die Aids-Hilfe hat von den Organisatoren um den Konferenzvorsitzenden Karl-Otto Habermehl 600 Freikarten erhalten. Noch teurer als die Konferenzgebühren sind allerdings Flug und Unterbringung. 4.500 DM rechnet die DAH im Schnitt an Kosten. Unbezahlbar für jeden Rumänen, Ghanaer, Kolumbianer, Sri Lankaner. Rund 1,5 Millionen Mark wären erforderlich, um wenigsten die Hälfte der 600 Freikarten an Teilnehmer aus armen Ländern zu vergeben.

Auch die Bundesregierung ist bislang nicht bereit, finanzielle Mittel für die Dritte-Welt-Länder bereitzustellen. Ein Brief des Berliner Gesundheitssenators Luther an seinen Bonner Amtskollegen Seehofer blieb ohne Resonanz. Wenn bis Ende April keine ausreichenden Finanzmittel bereitstehen, so die Einschätzung von DAH-Sprecher Michael Lenz, wird es zu spät sein. Lenz forderte die Bundesregierung und die Unternehmer nochmals auf, „ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, was ihnen die Dritte Welt wert ist“.

Ein offizielles Engagement der Bundesregierung würde die Spendenkampagne der Aids-Hilfe wesentlich erleichtern, weil dann „zumindest ein Grundstock“ vorhanden wäre und andere Sponsoren leichter zu gewinnen wären.

Im Gegensatz zur Präsenz von Teilnehmern ist die Dritte-Welt- Problematik im wissenschaftlichen Programm sehr stark vertreten. Die Aids-Hilfe zeigte sich gestern zufrieden über die Besetzung der Podien und über die thematische Auswahl im Konferenzprogramm.

Die globale Aids-Problematik in die Stadt tragen

Wie schon im Amsterdam, werden die sozialen Fragen einen gleichberechtigten Schwerpunkt zum rein medizinisch-wissenschaftlichen Programm bilden. Anfängliche Befürchtungen, daß Berlin einen Rückfall bringen könnte, haben sich offenbar zerstreut. Der Konferenzvorsitzende Habermehl, dem noch vor Monaten von manchem Kritiker nachgesagt wurde, er kenne Aids „nur unterm Labormikroskop“, wurde von der Aidshilfe wegen seiner Kooperationsbereitschaft ausdrücklich gelobt.

Auch das kulturelle Programm im Umfeld des Welt-Aids-Kongresses steht vor erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Mit Theater, Filmen, Musik, Tanz, Lesungen und Puppenspielen sollen Künstler aus allen Teilen der Welt „die Anonymität des Kongresses aufheben“ und die globale Aids- Problematik „aus dem ICC herausholen“ und in die Stadt bringen. Das Interesse an diesem Programm ist in vielen Ländern sehr groß, sagte Organisator Sergey Bashir – nur nicht in Deutschland. Noch ist offen, wie die 800.000 DM an Kosten finanziert werden sollen. Vielleicht kann ein großes Rockkonzert das Loch in der Kasse schließen.

Spendenkonto der Deutschen Aidshilfe: Deutsche Apotheker- und Ärztebank, Berlin, Konto 0103500500, BLZ 100 906 03, Stichwort „Patenschaft“