: Sturheit und Wandel
■ Das Full Of Hate-Festival gibt Anlaß zur Reflexion über Death-Metal
-Festival gibt Anlaß zur Reflexion über Death-Metal
Death Metal und Grindcore waren im Breich Hardstoff-Gitarre einmal sinnvolle Weiterentwicklungen. Ihre Schöpfung waren genre- zusammenführend (Hardcore/Metal) und zerschlugen die verkrusteten Strukturen des Metal, einer Musik die längst nicht mehr in der Lage war, Gefühl auszudrücken. Sie gefiel sich nur noch in billigem Eskapismus und der Zelebrierung eines stilisierten Rocker-Traums.
Doch die Zeiten, da jeder Death/Grind-Newcomer begrüßenswerter war als ein Dutzend neuer Trash-, Speed- oder Stadionmetaller sind längst dahin. Gerade im plakativen Death Metal droht der leider unumgängliche Fakt blinden, scharenweisen Nachläufertums die gesamte Musiksparte wieder in bloße Effektmusik zu verwandeln. Effektmusik, wie sie zum Beginn der heutigen Leistungsschau im Docks von Samael und Gorefest auf beeindruckend monotone Weise dargeboten wird. Da die Amerikaner zum Abschluß des Abends jedoch selbst ihre produktionsorientieren Mid-Tempo-Musik zelebrieren, muß eigentlich niemand rechtzeitig erscheinen. Die nachfolgenden Tiamat (aus Schweden), die mit ihrer Anlehnung an nebulösen Gruftrock vorhersehbare Erfolge feiern, wären etwas für den pathetischen Ausklang, so aber verkleistern sie die Wahrnehmung zu viel zu früher Stunde.
Denn schließlich sind geschärfte Sinne vonnöten, um Carcass' Musik zu inhalieren. Die Engländer, die 1988 das Geräusch vom Kaffeemahlen elektrisch verstärkten und mit dieser, Grindcore genannten Extrem-Musik mit allen Hörgewohnheiten brachen, sind die frühzeitige Krönung des Abends. Auch und gerade wenn sie sich musikalisch längst neu orientiert haben: auf die Flucht in alle Richtungen folgte mit dem Album Necrotism ... von 1991 ein Schwenk zu höchst komplexer, melodiöser, Death, Trash und Grind homogenisierender Musik.
Musik, der sich alles unterordnet, der alles entsprechen muß, so auch die Texte, immer noch eine Aneinanderreihung medizinischer Fachausdrücke - Omnomatopoesie des Death Metal. Mit Splatter und Horror möchte Bill Steer, Gitarrist und Songschreiber aber nichts zu tun haben: „Mit 15 war das eine
1Entdeckung für uns, mehr nicht“. Den häufig in Bezug auf Death Metal geäußerten Vorwurf der Gewaltverherrlichung kommentiert er mit einem müden Kopfschütteln, gesteht jedoch dem Filmgenre eine schädigende Wirkung zu: „Da ist die direkte Entsprechung des Lebens und damit auch der ultimative Hardcore möglich.“ Bill denkt in dem Bezug sogar an Zensur. Unter die sollte auch der Co-Headliner des Abend fallen: Cannibal Corpse sind mit schlechter Musik und billigem Splatter für die vorschnelle Verurteilung ihres Genres mitverantwortlich. Holger in't Veld
Docks, 20 Uhr
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