Falscher Plutonium-Alarm in Bremen

■ Schieber boten 600 Gramm Plutonium an / Probe entpuppte sich als Uranstaub / Vier Männer festgenommen

Der Bremer Physiker Gerald Kirchner zog sich Arbeitshandschuhe über, wie man sie für 1,95 Mark an jeder Ecke bekommt. Dann öffnete er den blauen Plastikeimer, holte ein Bleigefäß heraus und erklärte: „Dieses Material ist entweder schwach angereichertes oder Natur-Uran — auf keinen Fall aber das, als was es verkauft werden sollte.“

Plutonium-Alarm in Bremen. Am Montag sollten, so hatte das Zollfahndungsamt in Köln den Bremer Behörden mitgeteilt, 600 Gramm Plutonium in der Hansestadt verschoben werden. Das hochgiftige Material, mit dem man Atomwaffen-Sprengköpfe laden kann, sollte Teil und Probe einer Lieferung sein, zu der insgesamt 24 Ladungen Plutonium zu je 600 Gramm und 25 Kilo hochangereichertes Uran 235 gehörten. Übergabeort war ein Parkplatz am Weserstadion, die Zeit: Montag, etwa 16.45 Uhr. Doch zur Übergabe ist es nicht gekommen. Die Polizei nahm vier Männer fest, drei Slowaken und einen Belgier. Ein Bleigefäß wurde im Auto eines der Männer sichergestellt.

„Kaufinteressent“ war ein deutscher Journalist, der mit dem Kölner Privatsender Vox zusammenarbeitete. Redakteur Peter S. Müller berichtete, daß bereits drei kleinere „Kostproben“ radioaktiven Materials in Essen „angeliefert“ worden seien, jeweils zwischen fünf bis zehn Gramm. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte der Sender nach eigenen Angaben die Behörden über die Kontakte informiert. Offensichtlich hatte der Journalist einen bundesdeutschen Mittelsmann „angezapft“, über dessen Vermittlungen die Lieferungen zustande gekommen sind. Vox sendete den Beitrag, für den auch die Polizeiaktion am Montag exklusiv gefilmt wurde, gestern abend. „Wir wollten einmal zeigen, wie hart dieser Markt ist und wie leicht man an diese Sachen herankommt“, erklärte Müller das Interesse des Senders.

Die Polizei konnte nach Angaben von Kriminaloberrat Peter Wetzge bei der Sicherstellung des Materials davon ausgehen, daß keine gefährdende Strahlung von der Lieferung ausging. Das habe man mit Fernmessungen noch vor der Festnahme der vier Männer geprüft. Die Probe ist dann sofort zur Landesmeßstelle für Radioaktivität des Landes Bremen an die Universität transportiert worden. Die Analyse: Die 600 Gramm sind Uranstaub, in dem etwa vier Gramm des künstlichen Elements Californium enthalten sind. Wert des Californiums: Etwa fünf Millionen Dollar.

Physiker Gerald Kirchner mit dem BleigefäßFoto: Steinberg

hier bitte das Foto

von dem Herrn mit dem

kleinen Gefäß in der Hand

Das Zeug strahlt, maßen die Physiker in der Landesmeßstelle, mit einer Dosisleistung von 50 Mikrosievert pro Stunde. „Sie müssen sich etwa 300 Stunden danebenstellen, um bei dieser Strahlendosis in die Nähe des zulässigen Jahreshöchstwertes zu kommen“, erklärte Kirchner gestern vor Journalisten. Californium wird als Neutronenquelle für die Auslösung von Kettenraktionen benutzt. Das restliche Uran 235 sei aber nur um zwei bis 2,5 Prozent angereichert gewesen, meinte Kirchner, und sei keinesfalls waffenfähig.

Die Herkunft des radioaktiven Stoffes bleibt ungeklärt. Er kann sowohl aus dem Uranabbaugebiet Wismuth in der ehemligen DDR als auch aus der Produktion von Brennelementen stammen, vermutet Kirchner. Die Angaben der Lieferanten über das vermeintliche Plutonium seien aber „von hohem Sachverstand“ und deshalb sehr ernst zu nehmen gewesen.

Staatsanwalt Wolgang Litzig ermittelt gegen die vier vorläufig Festgenommenen. Er will Haftbefehl beantragen wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontroll-Gesetz. Warum der Stoff ausgerechnet in Bremen verschoben werden sollte, ist gestern ebenso klar geworden wie die Rolle des Nachrichtensenders Vox in diesem Fall. mad