Sanssouci
: Nachschlag:

■ Nepper, Schlepper, Bauernfänger im Haus Ungarn

Ede Zimmermann ist es längst, Ellen Karau auch, und die ältere Dame neben mir wird es nach diesem Abend bestimmt: Mitglied im „Weißen Ring“.

Das Haus Ungarn hat zum Thema „Frauen – Opfer von Kriminalität und Gewalt“ geladen. Die Empfangsdame verteilt bunte Prospekte des „Weißen Rings“ und eine Broschüre, in der die „bekannte Psychologin“ Gerti Senger den Frauen zu mehr Selbstbewußtsein rät. „Kriminologen wissen: Die Täter suchen sich ihre Opfer vorwiegend unter den weniger selbstbewußten Frauen aus.“ Ellen Karau, Kriminaldirektorin im Polizeipräsidium Berlin, Abt. Verbrechensbekämpfung, wird zu diesem Thema sprechen. Ich lehne mich in meinem beigen Sessel zurück und studiere die Aufschriften der verteilten Aufkleber: „Ich bin wichtig“, „Ich gefalle mir“ und „Jeder hat eine Chance“. Die älteren Damen im Publikum stecken die Sticker flugs in ihre Handtaschen. Sicher ist sicher.

„Schade eigentlich, daß die Veranstaltung nicht so gut besucht ist“, bemerkt die Moderatorin, und sie hat gleich eine Erklärung parat: Frauen fühlen sich eben nicht mehr sicher in U- und S-Bahn, da sinkt dann natürlich auch die Bereitschaft, am geselligen Leben teilzunehmen. Ellen Karau wird den mutigen Frauen, die sich doch ins feindliche Leben getraut haben, jetzt wieder erzählen, wie sicher sie in dieser Stadt sind, und keine wird's glauben. Natürlich sind Frauen Opfer von Straftaten – aber, auch das weiß Frau Karau zu berichten, „die Herren sind viel gefährdeter“. Ihre Ausführungen stimmen die Anwesenden nachdenklich: „Es gibt so viel Schlimmes in dieser Stadt.“ Verschüttete Erinnerungen an den Fernsehhorror meiner Kindheit blitzen auf: „Die Familie Moser hatte für diesen Abend ein heiteres Zusammensein im Familienkreise geplant... Zwei Stunden später war die Tochter Luzie tot... Drei Monate später fanden spielende Kinder die skelettierte Leiche unter einem Hollerbusch.“

Schnell schwenkt die Kriminaldirektorin angesichts des bejahrten Publikums zum Handtaschendiebstahl und zu Trickbetrügereien. Besonders „moralisch verwerfliche“ Täter entreißen „alten hilflosen Opfern“ die Handtasche, Trickbetrüger dringen mir nichts, dir nichts, in die Wohnungen gutmütiger Pensionäre ein, um den Schmuck aus der Vitrine zu stehlen. Und sie sagt es jetzt mal ganz ehrlich: Für die Täter wird so viel getan, aber wer kümmert sich eigentlich um all diese wehr- und hilflosen Opfer? Doch nur der „Weiße Ring“. Und für die, die's immer noch nicht begriffen haben, erklärt sie: Wer Hütchen spielt, ist selber schuld. „Keiner wird gezwungen, sich betrügen zu lassen... Und dann schreit jeder nach der Polizei. Und die Hütchenspieler sagen ,Asyl‘, und dann haben wir alles Asylanten.“

Das Publikum schaut betroffen auf die blaue Auslegware, als Frau Karau in schillernden Farben die riesige Gewaltbereitschaft in der DDR schildert. Zugegeben, dieser Staat hatte auch seine guten Seiten (zum Beispiel den grünen Ampelpfeil), aber daß man hier, statt leichthin die Handtasche vom fahrenden Mofa aus zu schnappen, den Opfern gleich eins auf den Kopp gibt, geht ihr nicht in den Sinn. „Feuer frei, keine Hemmung“ – jetzt dürfen Fragen gestellt werden. Aber die Gäste bleiben verhalten. Nur ein Herr in den besten Jahren möchte wissen, warum es denn keine bunten Borschüren für Männer gibt, wenn die (siehe oben) doch so viel gefährdeter sind?

Die Werbeveranstaltung für den „Weißen Ring“ nähert sich dem Ende. Ich werfe einen letzten Blick in die aufgeklärte Runde. Die alte Dame neben wird es bestimmt, und der krawattierte Pensionär sicherlich auch. Bei dem Ehepaar, die Frau raucht Cabinett, bin ich mir nicht so sicher. Petra Lüschow