■ Press-Schlag
: „Altnazi ohne Ethik und Moral“

Professor Rainer Ballreich gilt als umgänglicher Mensch. „Etwas versponnen“, sagt Altfunktionär Heinz Fallak, aber sonst nett, ein guter Sportskamerad. Ehrenamtlicher Leichtathletik-Bundestrainer war er in den sechziger Jahren, Lehrer am Eberhard-Ludwig- Gymnasium in Stuttgart. „Absolut unpolitisch“, meint Fallak. Seine Arbeit an der Universität Frankfurt, wo er es zum führenden Biomechaniker der Republik gebracht hat, habe er gut und ohne Beanstandungen gemacht. Deshalb könne er einfach nicht glauben, erklärt Fallak, daß Ballreich, „so einer“ sei.

Der 63jährige Sportwissenschaftler, geboren in Schwäbisch-Gmünd, ist so einer. Einer, der die „Auschwitz-Lüge“ propagierte, und dies nicht am heimischen Stammtisch, sondern im Zuge seiner Gremientätigkeit beim Deutschen Sportbund (DSB). Ballreich gehörte einer Kommission des Bundesausschusses Leistungssport (BaL) an und war von 1980 bis 1988 Vorsitzender des Fachausschusses „Bewegung und Training“ am Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das von Innenministerium und DSB getragen wird.

Bekannt geworden ist der Skandal erst sechs Jahre später durch einen offenen Brief, den der Paderborner Sportwissenschaftler Günter Hagedorn in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte, weil er nicht mehr länger schweigen wollte. Ballreich vertrat seine rechtsradikalen Thesen anno 1987 zunächst gegenüber Hagedorn und Ministerialrat Peter Busse vom Bundesinnenministerium, der die Aufzeichnungen des Paderborner Wissenschaftlers „minuziös richtig“ nennt. Hagedorn gibt den Frankfurter Hochschullehrer folgendermaßen wieder: „Alles Lüge. Das mit den sechs Millionen Juden: Die KZ gab es in Wahrheit gar nicht. Die meisten sind an Krankheiten gestorben. Das deutsche Volk hat auch gehungert. Die Lager sind eine Erfindung der Alliierten. Die Verbrennungsöfen hat man nachträglich eingebaut, um gegen die damalige deutsche Regierung zu agitieren. Die Leichenberge sind eine weitere Lüge. Die Fotos stammen aus Dresden. Von dem schrecklichen Massenmord an deutschen Zivilisten durch die britische Luftwaffe. Auch die Zahl stimmt nicht. Diese sechs Millionen. Um den Faktor 10 zu hoch. Mindestens.“

Dies habe der Biomechaniker so vorgetragen, erinnert sich Hagedorn, „als hätte er die Antrittsgeschwindigkeit eines Stabhochspringers gemessen“. Alles werde wissenschaftlich bewiesen, habe Ballreich erklärt und seine Aussagen vor der BaL- Kommission wiederholt. Seitdem haben sowohl Busse, dessen Großvater von den Nazis in Celle umgebracht wurde, als auch Hagedorn versucht, ihre Vorgesetzten zu konkreten Schritten zu bewegen – ergebnislos.

Zu den Unterrichteten zählt an vorderster Stelle DSB-Vizepräsident Ommo Grupe, den Hagedorn bereits im September 1987 auf den „unbegreiflichen Vorgang“ hingewiesen hat. In seiner Macht hätte es durchaus gelegen, Ballreich zu sanktionieren: Grupe ist Vorsitzender des Direktoriums am Bundesinstitut für Sportwissenschaften. Getan hat es schließlich Busse („Ich habe Ballreich verabscheut“), fünf Jahre danach, Mitte 1992, völlig geräuschlos und ohne Begründung. Der „Altnazi ohne Ethik und Moral“ (Hagedorn) tauchte schlicht nicht mehr auf der Vorschlagsliste für die Amtsperiode bis 1996 auf.

Am 24. November vergangenen Jahres wandte sich Hagedorn, der mit einer Jüdin verheiratet ist, deren Familie ebenfalls den Nazis zum Opfer fiel, nochmals brieflich an Grupe. „Lieber Ommo“, schrieb er dem Leiter des Tübinger Sportinstituts. „Mit tiefster Empörung“ registriere er, daß sich der DSB „bis heute nicht von einer infamen Geschichtsverfälschung durch einen hochdotierten Professor der Biomechanik distanziert“ habe. Statt dessen werde der „schändliche Vorgang durch Schweigen erledigt“. Und dies zu Zeiten „erschreckender Formen rechtsradikaler Gewalt, die scheinbar unaufhaltbar eskaliert“.

Reagiert hat der Sportbund erst jetzt, nachdem der Skandal öffentlich geworden ist. Man habe dafür Sorge getragen, daß Ballreich seit 1988 in keinem Gremium mehr mitarbeite, ließ das DSB-Präsidium wissen. Mit diesen „unmittelbaren Konsequenzen“ sei auch „eindeutig dokumentiert“ worden, daß man keineswegs eine „Koalition des Schweigens“ (Stuttgarter Zeitung) bilde. Diese Erklärung war so formal wie falsch, denn würde der DSB seine eigenen Protokolle lesen, müßte er feststellen, daß Ballreich am Bundesinstitut noch am 26. März 1992 als Teilnehmer einer Ausschußsitzung geführt wurde.

Am Ort des Geschehens entwickelte sich derweil auch mancherlei Aktivität. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt begann wegen „Volksverhetzung“ zu ermitteln, der Dekan des Sportinstituts Henning Haase will Ballreich vernehmen, und der AStA kennt auch schon das Ergebnis: Die „nationalsozialistische Überzeugung“ des Biomechanikers sei „an seiner Arbeitsstätte hinlänglich bekannt“ gewesen.

Der Beschuldigte selbst will sich nicht äußern, ehe er nicht „juristischen Rat“ eingeholt hat. Von der Nachrichtenagentur dpa ließ sich Ballreich zumindest soviel entlocken: „Es geht nicht darum, dies oder das abzustreiten, sondern nur zu präzisieren.“ Josef-Otto Freudenreich