Vorsicht an der Bahnsteigkante: Video total

■ Neue Überwachungsanlage in Betrieb / Datenschützer erheben Bedenken gegen die Vernetzung der Meldesysteme

/ Datenschützer erheben Bedenken gegen die Vernetzung der Meldesysteme

Wer im Hauptbahnhof künftig eine Bierdose in die Ecke wirft, kann eine böse Überraschung erleben. Aus der Kamera an der Mauer ertönt dann eine unheimliche Stimmen und fordert: „Bitte heben sie die Dose auf und werfen sie diese in den Papierkorb.“ Selbst das Rendezvous an der Bahnsteigkante wird dem Auge der Überwacher nicht entgehen. Denn: Im größten Verkehrsknotenpunkt der Elbmetropole heißt es seit Donnerstag: „Video total"!

750 000 Mark hat sich die Betreibergesellschaft Hamburger Hauptbahnhof (BHH) die Überwachungs-, Melde-, und Koordinierungsanlage kosten lassen, durch die künftig die Ordnungs- und Sicherheitskräfte sowie das Reinigungspersonal dirigiert werden. 21 schwenkbare Zoom-Videokameras überwachen rund um die Uhr das komplizierte Gänge- und Tunnelsystem. 17 weitere Videoaugen der Bundesbahn sowie die acht Überwachungskameras der Hochbahn (HHA) lassen sich zugeschalten.

Beobachten die Aufseher eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat wird das entsprechende Videobild direkt in die Hauptbahnhof-Einsatzzentrale des Bundesgrenzschutzes oder zur Polizei-Revierwache Kirchenallee gesendet.

Das neue Überwachungssystem ist Bestandteil eines aufwendigen Sicherheits- und Ordnungskonzepts, das vor eineinhalb Jahren in Kraft getreten ist. Erspäht die Überwachungskamera Müll in der hochgestylten Wandelhalle, werden die Reinigungseinsatztrupps über Funk informiert und zur Beseitigung des Unrats losgeschickt. Fast zwei Tonnen Müll werden täglich gesammelt. BHH-Geschäftsführer Christian Trede nicht ohne Stolz: „Der Hauptbahnhof ist wieder sauber, ordentlich und sicher geworden.“

Fünf Millionen Mark jährlich kostet Sauberkeit und Ordnung die stadteigene BHH, zwei Millionen davon werden von der Hochbahn und der Bundesbahn gedeckt. Um das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der täglich 350 000 Hauptbahnhof- NutzerInnen und -Fahrgäste zu steigern, patrouillieren überdies Doppelstreifen des privaten BHH- Wachdienstes. Hinzu kommen die „Blauen Sheriffs“ der Bundesbahn sowie der „Wilma“-Wandelhallen- Gesellschaft.

Sie haben aber laut Polizeidirektionschef Richard Peters keine Sonderbefugnisse, sondern nur „Jedermann-Rechte.“ Außerdem dürfen sie das Hausrecht wahrnehmen. Hoheitsrechtliche Aufgaben, so Peters, dürfen lediglich von der Polizei, die mit 30 Beamtinnen in der Wandelhalle und am Bahnhofsvorplatz präsent ist, oder vom Grenzschutz wahrgenommen werden, der im Oktober zur Bahnpolizei avancierte. Peters: „Sicher ist, daß die privaten Sicherheitsdienste keine

1polizeilichen Aufgaben wahrnehmen, daher gibt es auch keine Arbeitsteilung.“

Doch diese „Arbeitsteilung“ wünscht sich die BHH. Daher bietet das Unternehmen der Polizei an, die neue Videoüberwachungsanlage für ihre Zwecke zu nutzen. Doch Polizeichef Peters winkt — zumindest offiziell — ab: „Das ist

1rechtlich nicht zulässig.“

Auch Datenschützer Ulrich Werner hat Bedenken: „Es ist fraglich, ob ein privater Wachdienst Zugriffsrechte auf Überwachungsanlagen des BGS haben darf. Das Problem ist, daß wir dummerweise für den BGS nicht zuständig sind.“ Dennoch werden Hamburgs Datenschutzschützer, die von der Inbe-

1triebnahme des gigantischen Überwachungssystems bisher nicht offiziell informiert worden sind, die Anlage demnächst inspizieren. Werner: „Eines der Probleme ist, was mit den Aufzeichnungen passiert, die von der optischen Überwachungsanlage gefertigt worden sind und wann diese gelöscht werden.“ Kai von Appen