Village Voice
: Jeder in seiner eigenen Welt

■ „Invisible College“ von No Zen Orchestra und „Touch of Love“ von IAO

Fast zwei Jahre lang herrschte bei Interfisch Ruhe. Während der großen Tanzwelle konzentrierte sich das Label auf seine Subfirmen Tresor Records und Big Sex, auf clubtaugliche Elektronik- Rhythmen. Doch jetzt sind zwei Platten erschienen, die auf die Tradition des Schöneberger Kleinunternehmens verweisen: „Touch of Love“ von IAO und „Invisible College“ von No Zen Orchestra, das erste Album dieses Live-Ensembles überhaupt. In wechselnder Besetzung hatten sich zwischen 1986 und 1988 bis zu zwanzig schwarze und weiße Musiker, darunter die Label- Chefs Hegemann und Kohlberger, auf den Bühnen des SO 36 oder des Quartier Latin zusammengefunden, um stets neue Variationen ihrer Stücke zu improvisieren. Die wenigen Studio-Bänder von No Zen jedoch ruhten fünf Jahre in der Schublade. Nur einmal wurde von diesen Aufnahmen eine Edition von 50 Stück verlegt. Jedes einzelne Cover von „Invisible College“, wie diese limitierte Vinylausgabe schon damals hieß, hatte David Boysen, der Kopf des Projektes, mit den Resten grauer Fußbodenfarbe gestrichen.

Die Stücke auf der aktuellen CD sind genau diese unbehandelten Originalaufnahmen, also immer noch das dichte Klanggefüge von Bässen, Gitarren und Keyboards, das von den düsteren, gespannten Stimmungen des versunkenen Westberlin zeugt. Der Sound schwillt in Wellen an, deren schleppende Folge vom monotonen Rhythmus der Percussion-Instrumente bestimmt wird, und immer wieder tauchen dabei aus den basslastigen Tiefen Arrangements auf, die dem, was als „World Music“ hip werden sollte, recht nahe kommen.

Besonders wild wogt es in dem knapp 20minütigen Part, der dem Album seinen Namen gab. Über den harten Schlag einer Bass- Drum, der in eine Trommel-Fuge mündet, legt sich das Sägen eines Dutzends Gitarren — unverkennbar von Glenn Branca geprägt. Erhebt sich, bricht ab, um den Bongos Platz zu machen, erhebt sich erneut, um schließlich einem Zwiegespräch zwischen Sänger und Schlaginstrumenten zu weichen.

„Invisible College“ steht im Zentrum der Platte, die nur sechs Stücke umfaßt. Doch von der Eröffnung, dem sanften „Yuga“, bis zum aggressiven „Madonna the Bomb“ ist es eine lange Strecke voll untergründigem Schrecken und Wahnsinn. Das No Zen Orchestra operierte mit dem Gedankengut von Robert Wilson und Timothy Leary und hat deren Hippietum in Mythen von Geheimlogen und in angsteinflößende Traumwelten verkehrt, wie sie sich auch in den Bildern von Boysen finden, die der CD beigelegt sind. „Everybody is in his own World“, liest man unter Boysens gehörnten Phantomen, ein Motto, das auf all diejenigen Mitglieder des Ensembles zutraf, die über No Zen hinaus ein eigenes Projekt verfolgten.

So tauchten Bassist Ace B. Colberg und Sänger Rif Bergmann schon zu No-Zen-Zeiten als A. Colberg und Al Vetricz bei IAO wieder auf. Doch mit IAO verhält es sich mittlerweile umgekehrt wie mit No Zen. Vom Dasein als Live-Band mit einem Repertoire trauriger Balladen verabschiedete sich das Trio, das bereits fünf Platten vorzuweisen hat, Ende der Achtziger endgültig. Seitdem spielt sich die Geschichte der Band vor allem am Mischpult ab, wie bei den Aufnahmen zur neuen Platte, als die Studioleiterin Dee Dee McElroy kurzerhand als Background-Sängerin einsprang.

Doch trotz wechselnder Besetzung halten IAO an ihrem Stil fest, den sie 1991 mit „Sublimity“, einem Album voller beruhigender Aphorismen, konsolidierten. Das zarte „Twinkle Twinkle little Star“ erscheint wie das Leitmotiv der gemächlichen Reise, die IAO jetzt mit „Touch of Love“ durchs All antreten. Zwischen kleine Synthi-Melodien und Ambiente- Takte, zwischen verjazzte Rhythmen und Harmonien mischt sich unauffälllig Al Vetricz' Stimme. Vertrauensselig singt er vom Himmel und von Engeln, von der Botschaft der Liebe und vom „Lord above“. Dazu tschilpen Vögel, klingen falsche Glöckchen, und sanft rauscht das Meer aus der Konserve.

Wonne und Seligkeit, die schon auf „Sublimity“ Thema waren, erscheinen im Glanz all der von IAO besungenen Sterne und werden im Laufe der acht Lieder zu vertrauten Größen, um so mehr, als IAO jetzt keine „Erhabenheit“ mehr für sich beanspruchen. „Touch of Love“ ist eine simple Utopie, an die man gern glauben würde. „New Indie-Pop“ nennt Colberg diese Sphärenklänge. So neu sind sie zwar nicht, aber in dieser Konstellation von Musikern und Labelmachern ganz bestimmt „Indie“. Claudia Wahjudi

No Zen: „Invisible College“/Efa 01704-26, IAO: „Touch of Love“/ Efa 01767-26