Es war sehr windig in der K1

Leben, Lieben, Arbeiten und andere kulturrevolutionäre Aktionen der Kommune 1  ■ Corinna Raupach befragte Antje Krüger

Warum bist du in eine Kommune gezogen?

Ich stand kurz vor dem Abschluß an der Werkkunstschule, und diese Ausbildung machte mich eher ratlos. Einer meiner vorigen Mitbewohner war beim SDS, der erzählte immer von der Idee einer Kommune. Ich hatte Lust, etwas zu machen, was ich noch nie gemacht hatte. Nachdem ich erst in der Kommune zwei (K2) war, hab' ich mich in Rainer Langhans von der Kommune eins (K1) verknallt und bin dorthin gezogen. Die machten auch mehr und spektakulärere Aktionen.

Wodurch unterschied sich das Leben dort von deiner WG?

Ich kam von etwas Geborgenem in etwas sehr Windiges. Es gab keine Privatsphäre, und der ganze Alltag war durchorganisiert. Es gab für alles Regeln: wer kocht, spült, Zeitungen holt, für das Archiv schneidet, putzt. Es war sehr zugig dort, ein ewiges Raus und Rein. Ständig brachte oder holte jemand etwas. Oft waren Leute da, die man noch nie gesehen hat. Es gab viele Gruppen, wie die K1, die K2, den SDS, die alle in Konkurrenz zueinander standen. Einig war man nur in der Idee, daß man etwas machen müßte.

Was bedeutet es konkret, keine Privatsphäre zu haben?

Privatsphäre ist etwas, was zu einem gehört, was man liebt, womit man sich gern umgibt, woran man gern denkt. Das äußert sich auch in dem Environment, das man sich schafft. Und das gab es nicht, weil da kein Platz dafür war. Alles wurde von allen benutzt. Es machte selten jemand eine Tür hinter sich zu. Trotzdem blieb vieles verborgen, was man gern gewußt hätte. Wir waren alle große Meister im Verbergen.

Eigentlich glaube ich, daß jeder so eine Suche nach Geborgenheit hatte und daß jeder bei den anderen aufpaßte, daß er sie nicht hat. Andererseits haben wir uns alle sehr gefreut über die Freßpakete mit Toblerone und Zigaretten, die Fritz Teufels Mutter schickte. Die waren so liebevoll gepackt. Das war etwas, wonach wir uns alle sehnten, was aber nicht vorkam.

Wie viele Leute haben in der Kommune eins gelebt?

Zwischen sechs und acht, dazu kamen dann die Satelliten, Freunde des Hauses und solche, die uns zu Demos und Aktionen holten oder zum Drucken kamen. Wir haben alle Flugblätter und Schriften selbst gedruckt.

Wie sah eure Wohnung aus?

Sie muß fünf oder sechs Zimmer gehabt haben. Wir hatten ein großes Arbeitszimmer, ein Eßzimmer und ein Zimmer, wo die Druckmaschine stand. Die restlichen Zimmer haben die Bewohner geteilt.

Das einzige, wo strenge Ordnung herrschte und wo es etwas gab wie Privatsphäre, war das Arbeitszimmer. Jeder hatte seinen festen Platz, wo er seine Sachen stapelte, seine Stifte hatte. Ich saß an meinem Tisch Dieter Kunzelmann gegenüber. Der hielt ganz akribisch Ordnung. Er legte immer sein Lineal waagerecht zwischen unsere Arbeitsplätze und die Stifte gerade ausgerichtet daneben.

Was hast du dort gearbeitet?

Ich war zuständig für das Archiv und den Versand. Wir hatten ein Riesenarchiv. Jeden Morgen kaufte jemand alle Tageszeitungen, und die wurden beim Frühstück durchgearbeitet. Alles, was lustig oder spannend war, wurde angestrichen, ausgeschnitten und nach verschiedenen Gebieten sortiert, „Berliner Tagespolitik“ etwa oder „Verrücktes aus aller Welt“ oder „Gute Aktionen“. Beim Versand hatte ich die Korrespondenz mit verschiedenen Läden zu führen. Ich war Königin im Päckchenpacken, hab' alles schön beschriftet, es sollte immer dufte aussehen.

Wie sahen eure Aktionen aus?

Ich weiß nur noch, daß wir ständig auf Demos unterwegs waren. Die haben Spaß gemacht, mit Verkleiden, Transparente malen, Flugis ausdenken und machen. Ich fand auch alle Aktionen „Freiheit für Teufel“ toll. Wir waren ganz jeck und fröhlich, als Fritz im Sommer 67 freikam. Da haben wir ein großes Fest auf dem Ku'damm gefeiert und getanzt, nach dem Motto: „Man muß den Teufel feiern, solange er los ist“.

Was für ein Echo erhieltet ihr auf eure Aktionen?

Das Echo war viel stärker als die Aktionen, das war häufig Kinderkram. Wir waren oft in den Schlagzeilen und entwickelten uns zu einer richtigen Show-Truppe. Rainer Langhans ließ sich ständig fangen, damit er sich am nächsten Tag in der Zeitung sehen und ausschneiden konnte. Er hatte einen Privatordner, in dem er nur Sachen über sich selbst sammelte.

Wie erklärst du dir dieses rege Interesse der Medien?

Wir verkörperten für die Presse all das, wovor sich der Normalbürger gruselte, die Bedrohung durch Unordnung, Auflösung ihrer kleinbürgerlichen Existenz, ihres kleinen Alltags, ihrer verqueren Vorstellungen von Sexualität. Das waren reine Projektionen. Wir konnten nur bestehen, weil sie so hysterisch reagiert haben. Das war wie ein Pingpongspiel, das sich zu Squash entwickelte, immer härter und schneller wurde auf beiden Seiten.

Verstandet ihr euch selbst als Avantgarde?

In vielen Sachen waren wir das eigentlich nicht, aber wir wurden dazu gemacht. Ich habe vorher Sachen erlebt, die viel verrückter und lustiger waren. In der Zeit fand ein Riesenumbruch statt, alles war neu, die Mode, die Drogen, die Musik. Wir haben alles gehört, Jimmy Hendrix, Beatles, Stones, Vanilla Fudge, Bee Gees. Wir fuhren immer in einen Plattenladen in der Weddinger Badstraße und ließen uns alles geben, was neu war.

Hast du in der K1 Erfahrungen mit Drogen gemacht?

Alles, was es an Drogen gab, hab' ich vorher eingepfiffen, und zwar sehr exzessiv. Keiner wußte damals, wieviel man wovon nehmen mußte. Ich habe einmal mit einem Freund sechs LSD-Trips geschmissen, von anderen Tabletten mußte man immer mehrere nehmen. Ich hatte gar keinen Argwohn, daß etwas danebengeht, ich hab' mich Bombe gefühlt. In der K1 wurde dann nur in der Endphase ab und zu gekifft.

Welche Rolle spielten politische Diskussionen in eurem Zusammenleben?

Es gab sie, aber ich kann mich nicht an sie erinnern. Es wurden oft sehr zermürbende Diskussionen geführt, aber ich weiß nur noch, daß ich davon einen Blähbauch kriegte. Wir haben auch nie dazu gelesen, wir hatten ja alles im Regal. Jeder hatte seine Buchbestände in die Kommune mitgebracht. Im Arbeitszimmer hatten wir Marx, Engels und Lenin komplett, aber ich habe nie gesehen, daß da einer reingeguckt hätte. Mit Mao hatte ich nur insofern zu tun, als wir an die Uni fuhren und dort Mao-Bibeln verkauften oder andere Schriften aus China. Die bekamen wir von der chinesischen Botschaft. Natürlich hatten wir überall Plakate vom großen Steuermann hängen, aber für mich war das mehr etwas Exotisches. Ich fand die bunten Plakate wunderbar, auch die kleine Mao-Bibel fand ich hübsch, aber ich habe sie nie richtig gelesen.

Wie war das Verhältnis von Männern und Frauen?

Das kann ich nicht so sagen. Es waren immer wesentlich mehr Männer da. Ich war lange die einzige Frau und hatte zu jedem ein anderes Verhältnis. In eine Frauenrolle hab' ich mich nicht gedrängt gefühlt. Als wir mal Flugblätter aus dem Fenster geschmissen haben, habe ich sie lachend zusammengefegt. Nachher meinte dann jemand, das sei ja wieder typisch. Dabei war selbst das Fegen eine Aktion, die Spaß machte. Das ist auch eine Idee aus Männerköpfen, da wieder die Frauenrolle zu sehen, weil sie es selber nie geschafft haben, lustvoll zu fegen.

Heute noch kursiert im Zusammenhang mit der K1 der Spruch „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“. Wie habt ihr es damit gehalten?

Für mich ist die ganze Zeit, die ganzen 60er, im nachhinein vom Pillennehmen bestimmt. Man nahm Valium, wenn man durchgeschnorrt war, Captagon, um wach zu bleiben. Die Antibabypille brachte nichts als einen dickeren Busen, und sie nahm die Angst, gleich schwanger zu werden. Das hieß aber nicht, daß das Liebesleben eine neue Qualität bekam.

So weit ging die Auflösung der Privatsphäre also nicht?

Überhaupt nicht. Ich war mit Rainer befreundet, und das war es auch. Sexuelle Befreiung gab es bei uns nicht, das war wieder so ein großes Gerücht. Als dieses Foto gemacht wurde für den Stern, in dem alle nackt mit dem Rücken zur Kamera an der Wand stehen, machte das zwar unheimlich Furore. Tatsächlich mußte das ganz schnell gehen, weil alle froh waren, sich wieder anziehen zu können.

Sexuelle Befreiung in dem Sinn, daß ich mich frage, was ich wirklich will, das erlebe ich gerade. Und selbst heute treffe ich keine Männer, die vorher fragen, ob ich was für die Verhütung tue. Die nehmen vielleicht ein Kondom, um sich vor Aids zu schützen, aber nicht zur Verhütung. Damals war man froh, daß man die Pille hatte.

Hatten die anderen auch so ein gefestigtes Beziehungsleben?

Manchmal hatten sie Mädchen, die kamen ein paar Wochen oder Monate, andere kamen nur einmal. Unser Zusammenleben bot gar keine Voraussetzungen für Sexualität. Zumindest im Anfang gehört dazu doch eine gewisse Heimlichkeit, Zärtlichkeit und Erotik. Bei uns war aber gar kein Platz zum Turteln oder Rumschmusen. Warum bist du ausgezogen?

Unser Zusammenleben war ohnehin in Auflösung begriffen. Ich habe einen sehr schnuckeligen Mann kennengelernt und war mit Rainer völlig verkracht. Ich bin danach von Wohnung zu Wohnung gezogen und hab' mich ganz wunderbar gefühlt, geradezu befreit. Ich hab' noch etwas Geld vom gemeinsamen Kommune-Konto abgehoben, um etwas zum Leben zu haben, und war sehr glücklich mit meinem neuen Liebhaber. Die Kommune hat es immer als Kränkung empfunden, wenn jemand abhaute, und der wurde mit der entsprechenden Häme verabschiedet. Das stellte ja die ganze Gemeinschaft in Frage. Heute denke ich an alle sehr liebevoll.

Zumindest dein Ein- und Ausgang war also vor allem von privaten Interessen bestimmt.

Das ist bei jedem so, auch wenn man etwas anderes drüberbaut. Wenn man Leute mit gleichen Ideen trifft, möchte man mit denen zusammensein. Das führt zu einer Art Nest, zu Wahlverwandtschaften, mit denen man eine Weile im Leben zusammen ist und von denen man sich auch wieder trennt.

Antje Krüger wurde am 2.11.1943 in Neubrandenburg geboren und wuchs in Berlin- Moabit auf. Sie besuchte eine Hauswirtschaftsschule, lernte Kindergärtnerin und studierte an der Werkkunstschule angewandte Malerei. Heute arbeitet sie als Garderobiere beim Film.