Frankreichs Polizei tötet schnell

Ein 17jähriger stirbt durch Kopfschuß beim Verhör, ein anderer gleich während der Festnahme: Kaum ist Hardliner Pasqua wieder französischer Innenminister, eskaliert die Polizeigewalt  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Seit seiner Ernennung vor zehn Tagen gibt sich Frankreichs Innenminister Charles Pasqua gemäßigt. „Jeder schwerwiegende Verstoß“ der Polizisten „wird streng bestraft“, heißt es in seinem jüngsten Kommuniqué. Die Beamten müßten sich zu beherrschen wissen und „das Recht und die grundlegenden Freiheiten“ respektieren. Pasqua reagierte damit auf drei fatale Entgleisungen der Polizei innerhalb von vier Tagen.

Im Polizeikommissariat des Nord-Pariser Einwandererviertels Goutte d'Or erschoß am Dienstag ein Inspektor während des Verhörs einen 17jährigen Zairer. Der Junge hatte die Nacht in Polizeigewahrsam verbracht, weil er in einer Kneipe Zigaretten gestohlen haben soll. Entgegen allen Vorschriften zog der Inspektor während der Befragung die Dienstwaffe aus der Schublade, um dem angeblich aufmuckenden Jugendlichen, wie er sagte, „Angst zu machen“. Untersuchungen ergaben, daß er die Pistole direkt auf den Kopf des Jungen drückte, bevor er schoß. Er wurde unter dem Verdacht der vorsätzlichen Tötung festgenommen; der Chef des Kommissariats wurde ebenfalls vom Dienst suspendiert. Fünf Stunden vor dem Mord hatte das Jugendgericht die Freilassung des Zairers verlangt – die Polizei hatte das einfach ignoriert.

An den folgenden Tagen zogen etwa hundert aufgebrachte Jugendliche mit dem Schlachtruf „Polizisten, Faschisten, Mörder“ vor das Kommissariat. Sie warfen Steine und Flaschen auf die Bereitschaftspolizisten; 27 Beamte wurden leicht verletzt, mehrere Schaufenster gingen zu Bruch, ein paar Läden wurden geplündert.

Bereits in der Nacht zum Montag war in einem Vorort von Chambéry ein 18jähriger von einem Schutzmann erschossen worden. Der Polizist hatte den Jungen zusammen mit zwei Komplizen beim Reifenklau erwischt. Als er ihm Handschellen anlegen wollte, habe sich der Junge bewegt und dabei sei „versehentlich“, so der Polizist, ein Schuß losgegangen. Ein dritter Jugendlicher wurde am Mittwoch früh in einem als „Beirut“ bezeichneten Viertel in der Nähe von Lille durch einen Kopfschuß schwer verletzt. Die zwei Polizisten, die jede Nacht ein Gebiet mit 50.000 Einwohnern „bewachen“, hatten versucht, eine wilde Autojagd zu beenden. Nach Angaben des Staatsanwaltes stand der Schütze unter Alkoholeinfluß; er schoß, nachdem sich der 17jährige Maghrebiner schon mit dem Gesicht nach unten zu Boden gelegt hatte. Der Junge schwebt in Lebensgefahr.

Das Verhalten dieser Polizisten läßt befürchten, daß sich eine Reihe von Beamten durch die Rückkehr von Pasqua ins Innenministerium zu schärferem Vorgehen ermutigt sieht. Obwohl sich Pasqua in letzter Zeit bedeckt hielt, hat die Polizei nicht vergessen, wie der Hardliner sie in seiner ersten Amtszeit zwischen 1986 und 1988 zu autoritärem Vorgehen ermutigt und ihre „Ausrutscher“ entschuldigt hatte. Der damalige Regierungschef Chirac hatte sogar versprochen, Polizisten würden „gedeckt, falls unglücklicherweise ein Unfall passieren sollte“.

Die Rückkehr von Pasqua ins Ministerium wurde jetzt von vielen Beamten begrüßt. Nach den beiden als schwach angesehenen sozialistischen Ministern Marchand und Quilès erwarten die Polizeigewerkschaften von Pasqua klare Leitlinien zum Umgang mit den permanenten Spannungen und Unruhen in den sozialen Ghettos am Rande der Großstädte.

Auch ohne große Worte ist der Innenminister schon zu ersten Taten geschritten: So ließ er die Nord- Pariser Einwandererviertel zwischen der Goutte d'Or und Barbès bereits mehrere Male auf Kriminelle und auf AusländerInnen ohne gültige Papiere durchkämmen. Dabei wurden an einem Tag über 700 dunkelhäutige Menschen kontrolliert.

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