Budapester Regierung im Fleischkrieg mit der EG

■ Ungarn läßt kein EG-Fleisch mehr ins Land / Reaktion auf ähnlichen Schritt der EG / Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik protestierten gestern auch

Budapest (taz) – Zum ersten Mal seit 1989 ist zwischen der Europäischen Gemeinschaft und einem osteuropäischen Land ein offener Handelskrieg ausgebrochen. Die ungarische Regierung verkündete am Gründonnerstag ein sofortiges Einfuhrverbot für alle aus EG-Ländern und Österreich stammenden Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen und andere Huftierrassen sowie ihre Fleisch- und Milchprodukte. Gleichzeitig tritt ein Transitverbot für Lebendtiere in Kraft.

Ungarn reagierte damit auf eine gleichlautende Entscheidung der EG vom Mittwoch, der sich Österreich noch am selben Tag angeschlossen hatte. Verhängt hat die EG das vorerst einen Monat lang geltende Einfuhrverbot gegen 18 osteuropäische Länder mit Ausnahme von Moldova und der Ukraine. Die EG begründete ihren Schritt mit Fällen von Maul- und Klauenseuche, die seit Ende Februar in Italien aufgetreten waren und nach EG-Ansicht „vermutlich“ auf Fleischimporte aus Kroatien zurückzuführen seien.

Ungarn fühlt sich von allen Ländern Osteuropas am schwersten betroffen. Béla Kádár, Minister für internationale Wirtschaftsbeziehungen, betonte, er selbst habe die EG-Gesundheitsbehörden um veterinärmedizinische Untersuchungen in Ungarn gebeten. Die seien allesamt negativ ausgefallen. Regierungssprecherin Judith Juhász reagierte noch schärfer: Offenbar steckten hinter der Entscheidung handelspolitische Überlegungen, habe die EG doch einen Vorrat von einer Million Tonnen Fleisch angehäuft.

Ungarn schätzt die direkten Verluste aus dem Handelskrieg auf 40 bis 50 Millionen Dollar. Das Land darf in diesem Jahr 24.000 Tonnen Schweinefleisch, 5.400 Tonnen Rindfleisch und 4.800 Tonnen zu Sonderkonditionen in die EG exportieren. Die Tschechische Republik, die Slowakei und Polen, in denen EG-Gesundheitsuntersuchungen auch negativ verlaufen waren, protestierten ebenfalls heftig gegen die EG-Entscheidung. Keno Verseck