Atom-Ei im rot-grünen Nest

Landgericht Wiesbaden verdonnert Hessen zur Zahlung von Schadensersatz an Siemens / Fischer geht in Berufung  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Die 2. Zivilkammer am Landgericht Wiesbaden hat der hessischen Landesregierung am Gründonnerstag ein Osterei von besonderer Qualität ins rot-grüne Nest gelegt: Die Verwaltungsrichter gaben einer Klage der Firma Siemens gegen die von Umweltminister Joschka Fischer (die Grünen) verfügte Schließung der Plutoniumproduktionsanlage in Hanau statt – und verdonnerten das Land zur Zahlung von Schadensersatz. Auf exakt 30 Millionen Mark bezifferte Siemens den durch die Stillegung der Anlage (Ex-Alkem) nach einem Störfall im Juni 1991 entstanden finanziellen Schaden.

Das Gericht kam zu dem Schluß, daß Fischer spätestens am 18. Mai 1992 seine Stillegungsverfügung vom 19. Juni 1991 hätte aufheben müssen, da die Firma Siemens zu diesem Zeitpunkt die entsprechenden Konsequenzen aus dem Störfall bei der Lagerung von Mischoxidgebinden (MOX) aus Uran und Plutonim gezogen und eine Sicherheitsgarantie abgegeben habe. Bei dem Störfall vom Juni 1991 war ein Plutonium-Uranoxid-Gebinde im Produktionsbereich aufgerissen. Danach entdeckte die hessische Behörde weitere „Blähgebinde“ auch im Spaltstofflager der Firma Siemens (Ex- Alkem-Bunker). Fischer untersagte danach die weitere Herstellung von Mischoxidpulver (MOX) im Werk Hanau. Von der Stillegungsverfügung waren rund 350 MitarbeiterInnen betroffen – der Siemens-Konzern hatte im Oktober 1991 beim Arbeitsamt Hanau eine Vorabentscheidung zur Einführung von Kurzarbeit beantragt.

Seit Ende 1991 liegt Fischer in dieser Sache auch im Clinch mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), für den die Sicherheitsfragen bei der MOX-Fertigung bereits „abschließend beantwortet“ waren. Mit Rückendeckung seines Kabinetts bestand Fischer jedoch auf einer ausführlichen Prüfung der von der Reaktorsicherheitskommission, dem TÜV-Bayern und dem Öko-Institut erarbeiteten Verbesserungsvorschläge im MOX-Produktionsbereich und bei der Lagerung von MOX-Gebinden.

Weil der MOX-Fertigung – „Wiederverwertung von Plutonium“ (Siemens) – in Hanau eine Schlüsselrolle in der „atomaren Kreislaufwirtschaft“ zukommt, wurden die Auseinandersetzungen zwischen Fischer und Töpfer um die Wiederaufnahme des Produktions- und Lagerbetriebs härter. Siemens hatte kurz nach der hessischen Verfügung vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel Klage erhoben und danach auch Schadensersatz verlangt. Bis heute wollte allerdings sogar der „Atompapst“ (Grüne) Klaus Töpfer nicht mit einer Weisung an den hessischen Landesminister die Verantwortung für die Wiederaufnahme der MOX-Produktion in Hanau übernehmen.

Hessen, so der stellvertretende Regierungssprecher, Georg Dick, gestern, werde in Berufung gehen. „Die gesamte Anlage ist weder gegen Brand, noch gegen Hochwasser, noch gegen Erdbeben oder einen Flugzeugabsturz gesichert.“ Joschka Fischer befand sarkastisch, das Urteil sei „am Tag nach Tomsk besonders passend“. Daß ausgerechnet ein Zivilgericht auch vor dem Hintergrund der Hoechst- Störfälle zu einer solchen Entscheidung gekommen sei, kann Fischer nur „schwer nachvollziehen“. Das Urteil mache die Atomaufsicht vom guten Willen der Betreiberfirmen abhängig und enge den Spielraum der Politik extrem ein. Deutlicher wurde Georg Dick: „Demnächst wird der Finanzminister mit darüber entscheiden, was die Aufsichtsbehörden im Interesse der Sicherheit anordnen.“