: Deutsche dürfen bei Awacs mitfliegen
Bundesverfassungsgericht erlaubt vorläufig den Verbleib deutscher Soldaten an Bord der Awacs-Überwachungsflugzeuge / Argumentation der Militärs angeschlossen ■ Von Andreas Zumach
Deutsche Luftwaffenoffiziere können zumindest vorläufig an Bord der seit Oktober 92 vor der jugoslawischen Adriaküste kreisenden Awacs-Flugzeuge verbleiben. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe lehnte am Donnerstagabend mit einer Mehrheit von fünf gegen drei Richtern Anträge der FDP und der SPD auf eine einstweilige Anordnung gegen den Verbleib der deutschen Soldaten ab.
„Bei einem Abzug der deutschen Soldaten wäre der Einsatz des Awacs-Verbandes erheblich beeinträchtigt und die Durchsetzung des Flugverbots gefährdet“, stellt das Gericht in seiner Urteilsbegründung fest. Die „politische Signalwirkung, die der UNO-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 816 vom 31. März beabsichtigt, würde verfehlt“. Die Konsequenz sieht das Gericht so: „Der Vertrauensverlust der Bundesrepublik Deutschland bei den Nato- Partnern und bei allen europäischen Nachbarn wäre unvermeidlich, der dadurch entstehende Schaden nicht wiedergutzumachen.“
Die Urteilsbegründung lese sich „über weite Strecken wie die Zusammenfassung“ der Aussagen und Behauptungen von Bundesverteidigungsminister Rühe, Nato- Generalsekretär Wörner sowie führender deutscher Militärs, schreibt die Deutsche Presseagentur in einem Korrespondentenbericht aus Karlsruhe.
Das überrascht nicht. Denn bei der mündlichen Anhörung am Mittwoch waren mit Rühe, Wörner, Generalinspekteur Naumann sowie dem Kommandeur des Awacs-Verbandes, Brigadegeneral Ehmann, ausschließlich entschiedene Befürworter des Verbleibs deutscher Luftwaffenoffiziere an Bord der Awacs-Maschinen aufgetreten. Um die Bestellung von Militärexperten, die der von diesen Zeugen behauptete Unverzichtbarkeit der Luftwaffenoffiziere für die Bosnien-Mission hätten widersprechen können, hatten sich die Richter erst gar nicht bemüht.
Das Gericht betont in seinem Urteil, „Gegenstand“ der Entscheidung vom Donnerstag sei „ausschließlich die Awacs-Mitwirkung“ deutscher Soldaten gewesen. Diese könne „nur als vorläufige, in ihrer vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens abhängigen Zusammenarbeit gedeutet werden“. Die Richter drückten die Erwartung aus, daß die Bundesregierung die anderen beteiligten Staaten entsprechend „notifiziert“.
Der Erlaß einer von FDP und SPD beantragten einstweiligen Anordnung brächte jedoch einen „schweren Nachteil“, wenn nämlich „die Bundesregierung entgegen ihrer Rechtsauffassung und politischen Einschätzung die deutschen Soldaten jetzt abziehen müsse, sich aber später erweise, daß die Verfassung die Mitwirkung deutscher Streitkräfte“ zulasse, so die Richter.
Trotz dieser Feststellungen des Gerichts dürfte das Urteil tatsächlich eine Präjudizierung für die Hauptsachenentscheidung im Awacs-Streit, ja für die darüber hinausgehende Beteiligung deutscher Soldaten an Einsätzen außerhalb des Nato-Gebiets bedeuten. Nach Ansicht von Außenminister Kinkel spricht die bisherige Erfahrung mit dem Bundesverfassungsgericht dafür, daß das „Nichtergehen einer einstweiligen Anordnung im Hauptsacheverfahren bestätigt“ werde. Der vor Gericht unterlegene FDP-Fraktionschef Solms geht noch weiter. Für ihn „deutet die Urteilsbegründung darauf hin, daß das Hauptsacheverfahren den Einsatz deutscher Truppen für friedenserhaltende und friedensschaffende Maßnahmen unter dem Dache der Nato bestätigen wird“.
Tatsächlich finden sich im Urteilstext Festlegungen grundsätzlicher Natur, die die Einschätzungen der beiden FDP-Politiker realistisch erscheinen lassen. So nennen die Richter die Mitwirkung der Bundesrepublik an der „unaufschiebbaren“ Awacs-Maßnahme ohne Einschränkung einen „ihr obliegenden Beitrag zur Friedenssicherung“. Bei einem Abzug der deutschen Awacs-Offiziere werde „das Vertrauen, das sich die Bundesrepublik innerhalb des Bündnisses durch die bisherige stetige Mitwirkung in dem Awacs-Verband erworben hat, aufs Spiel gesetzt“. Durch den Abbruch der „Mitwirkung an dem integrierten multinationalen Verband im Rahmen einer völkerrechtlich vereinbarten Friedenssicherungsaufgabe“ würde die Bundesrepublik „die durch ihr bisheriges Verhalten begründete Erwartung enttäuschen“.
Es ist wohl damit zu rechnen, daß der durch die Aussagen von Wörner, Rühe, Kinkel und den führenden Militärs erzeugte politische Druck auf das Gericht, der sich in diesen Sätzen widerspiegelt, zum Zeitpunkt einer Hauptsachenentscheidung noch stärker sein wird als vor dem Urteil vom Donnerstag. Normalerweise fallen Hauptsachenentscheidungen innerhalb von drei Monaten nach der Befassung mit dem Antrag auf eine einstweilige Anordnung. Diesmal dürfte es nach Ansicht von Gerichtsbeobachtern wegen anderer Aufgaben des 2. BVG-Senats länger dauern.
Dann aber ist die Teilnahme deutscher Offziere an den Feuerleitfunktionen der Awacs-Maschinen längst zur Normalität geworden. Dann dürfte die Frage im Raum stehen, ob die Bundeswehr sich an der geplanten UNO- Truppe zur Überwachung eines Bosniens-Abkommens oder gar an einer internationalen Truppe mit Kampfauftrag beteiligen sollte.
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