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Jugendliche drangsalieren lernbehinderte Kinder

■ Kinder in Anklam/Mecklenburg-Vorpommern werden mit glühenden Zigarettenkippen erpreßt / Staatsanwaltschaft: Politische Motive ausgeschlossen

Anklam (taz) – Die Schüler der Förderschule in der mecklenburgischen Kreisstadt Anklam trauen sich nicht mehr in die Schule. Einer von ihnen wurde von einer Gruppe Jugendlicher durch glühende Zigarettenkippen um Zigaretten erpreßt. Ein anderer Schüler wurde mit einer Latte geschlagen, weil er angeblich den jugendlichen Täter wegen eines Diebstahls verpfiffen habe.

Auch andere lernbehinderte Kinder wurden regelmäßig von einer Gruppe Jugendlicher drangsaliert, beraubt und geschlagen. Vor der Schule am Stadtpark werden sie um Geld oder Zigaretten erpreßt. Viele von ihnen kommen aus dem Kreisgebiet und müssen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Schule fahren. „Auf dem Bahnhof oder im Bus wird nur gefragt, von welcher Schule sie kommen. Unsere Schüler werden dann gleich niedergetreten und geschlagen“, sagt die Schulsekretärin Brüsig.

Ende März erstattete eine Lehrerin Strafanzeige. Zwei der Jugendlichen sind namentlich bekannt. Gegen den jüngeren, der gerade erst vierzehn geworden ist, werde bereits aufgrund anderer Delikte Haftbefehl erlassen, sagt Rudolf von Samson, leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Stralsund. Wegen der jüngsten Vorfälle werde bereits ermittelt. Die Täter sollen so schnell wie möglich angeklagt werden. „Es ist besser, die Erziehungsmaßnahme folgt in einem solchen Fall sofort“, so von Samson. Politische Motive seien hinter den Taten nicht zu vermuten, so der Oberstaatsanwalt.

Die fünf Jugendlichen im Alter zwischen 13 und 16 sind in der Plattenbaustadt an der Peene allgemein bekannt. „Das sind Kriminelle, Kinder aus Elternhäusern, die nicht funktionieren“, sagt Werner Lichtwart, Sprecher der Stadtverwaltung.

Vor allem mit den zwei Brüdern, die immer wieder aus ihrem Heim ausgerissen sind, hat das Jugendamt ständig zu tun. Sie wurden mehrfach auffällig wegen Schlägereien, Anpöbeleien und Eigentumsdelikten. „Die haben doch schon vorher alte Leute angegriffen und wollen immer Geld“, weiß eine Rentnerin. Sie hat gehört, daß einer der Anstifter von seinem Vater krankenhausreif geschlagen worden sei, als dieser Wind von der Sache bekam.

Selbst die rechtsradikale Szene, der die Täter ursprünglich wegen ihrer Kleidung – Bomberjacken und Springerstiefel – zugerechnet wurden, distanziert sich von den „Kriminellen“. Sie verfügt in Anklam, das mit 26 Prozent die höchste Arbeitslosenquote von Mecklenburg-Vorpommern hat, nach eigenen Angaben über 100 Mitglieder.

Meist sind es Jugendliche, doch einige gehen auch schon auf die 30 zu. Es habe auch hier schon einige Vorkommnisse gegeben, doch seien diese Leute nicht organisiert, meint Lichtwart. Um einer Eskalation vorzubeugen, will die Stadt nun ein drittes Jugendzentrum einrichten. Corinna Raupach

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