: Der kurze Marsch in die Beliebigkeit
■ 10.000 beim Ostermarsch / Parolen-Potpourri gegen Awacs, Rassisten, Umweltfrevler / Teilnehmer enttäuscht
Berlin. „Seit 14 Uhr befindet sich Deutschland im Krieg. Dies ist der Tragödie dritter Teil.“ Drastisch beschrieb die Berliner Schauspielerin Käthe Reichelt die Awacs-Bundeswehreinsätze in Bosnien auf der Abschlußkundgebung des elften Berliner Ostermarsches auf der Fischerinsel. Ungefähr zehn- bis zwölftausend Menschen folgten nach Schätzungen der Veranstalter am gestrigen Ostermontag dem breit angelegten Aufruf „für Völkerverständigung, Frieden und Toleranz – damit Gewalt und Kriege gestoppt werden“. Die Polizei bezifferte die Teilnehmerzahl auf gut 9.000.
Aufgerufen zum Ostermarsch, der am Alexanderplatz startete, hatte die „Berliner Friedenskoordination“, der unter anderem SPD und PDS, Gewerkschaften, kirchliche Organisationen und Einzelpersonen angehören. Der Leiter der Friedenskoordination, Horst Hagelberg, erklärte, daß in diesem Jahr bewußt ein weit gefächertes Motto, eine kürzere Streckenführung und ein größeres kulturelles Programm nach der Kundgebung gewählt wurden, um mehr Menschen für die Demonstration mobilisieren zu können. Im Vorjahr hatten nur rund 3.000 Menschen am Ostermarsch teilgenommen.
Nicht alle Demonstranten konnten sich allerdings mit der breiten Themenpalette identifizieren. Bringfriede Schmidt, eine Ostberliner Demonstrantin, kritisierte, während über Lautsprecher der Erhalt des Palastes der Republik gefordert wurde: „Die müssen doch hier nicht innerstädtische Probleme mit reinbringen. Ich bin entäuscht. Ich dachte, ich wäre auf einer Friedens-Demo.“ Die Schülerin Karen Genschow fand den „christlichen Touch“ der Veranstaltung überflüssig, sonst aber „gut, daß hier so viele verschiedene Meinungen zum Ausdruck kommen können“.
Neben den Hauptthemen Awacs-Einsätze und Krieg in Bosnien, wurde für Ausländerfreundlichkeit, Beibehaltung des Asylartikels 16, gegen Umweltverschmutzung, Abschiebung kurdischer Türken und das Rückübernahmeabkommen mit Rumänien protestiert. Dies – und wahrscheinlich auch das gute Wetter – zahlte sich letztendlich zumindest numerisch aus: Die Zahl der Ostermarschierer überstieg sogar die vom Veranstalter vorher erwartete Menge.
Auf der Abschlußkundgebung sprach die Pastorin Ilsegret Fink davon, daß „die Kirchen seit 2.000 Jahren leider ein Urheberrecht für Kollaboration, Inquisition und Judenhaß haben“, nun aber „unser aller private und schwache Kraft“ dafür genutzt werden müsse, um „Frieden zu schaffen ohne Waffen“. Altbischof Gottfried Forck beendete die Kundgebung mit der Aufforderung, sich schützend vor Ausländer zu stellen: „Es genügt nicht, wenn wir demonstrieren, wir müssen auch im natürlichen Leben aktiv werden.“ Wegen der Awacs- Einsätze der Bundeswehr rief er alle deutschen Soldaten dazu auf, den Wehrdienst zu verweigern, was ihnen laut Grundgesetz zustehe. Jörg Welke
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