■ Die Konsequenzen der Awacs-Entscheidung
: Wege zur Macht

Wolfgang Schäuble, der Mann, der Außenminister Kinkel und die FDP so weit in die Ecke trieb, daß sie das Bundesverfassungsgericht bemühen mußten, um ihr Gesicht zu wahren, ist auch drei Tage nach dem Entscheid des Gerichts derjenige, der die weitere Marschroute festklopft. Während Leute wie CSU- Huber am liebsten den deutschen Awacs-Besatzungen noch deutsche Phantom-Jäger hinterherschicken würden, gibt Schäuble sich bewußt zurückhaltend. Die Karlsruher Entscheidung sei auf einen Einzelfall bezogen und noch kein Freifahrschein für die Bundesluftwaffe. Man werde auch in Zukunft in jedem Fall neu entscheiden. Stück für Stück, wie bisher, Fakten schaffen mit immer mehr Waffen. Schäubles Kalkül: Das Bundesverfassungsgericht wird, nachdem es sich in seiner einstweiligen Anordnung diese Logik mit Mehrheit zueigen gemacht hat, der Regierung auch im Hauptverfahren in den wesentlichen Punkten folgen. Dafür spricht die normative Kraft des Faktischen, der Zeitgeist und das Dilemma des Pazifismus angesichts solcher Gemetzel wie in Bosnien.

Aus diesem Grund wird die CDU jetzt kaum darauf drängen, einen Vorschlag für eine Klarstellung des Grundgesetzes zu entwickeln, der für eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag tragfähig wäre. Wahrscheinlich wird die SPD ja nicht mehr gebraucht. Damit droht eine der ganz seltenen Chancen zu verstreichen, um grundsätzlich über den Einsatz des Militärs in der Außenpolitik zu diskutieren und zu befinden.

Seit der Einverleibung der Ex-DDR und dem Abschluß der 2+4-Runde war klar, daß die „Selbstbeschränkung“ der Bundeswehr nur auf Zeit gelten würde. Gleichzeitig haben die Kriege im ehemaligen Jugoslawien und im Kaukasus klargemacht, daß zukünftige Konfliktlösungen auch mit einer wirksamen Drohung zur Durchsetzung von Kompromissen gekoppelt sein müssen. Tatsächlich wird es in Zukunft wohl nicht mehr so sehr um die Frage von peace-keeping oder peace-making gehen. Vielmehr geht es um die Konfliktschlichtungsinstanz.

Das Fatale an der derzeitigen Politik der Bundesregierung ist ja die abgrundtiefe Heuchelei, was den Einsatz der Bundeswehr angeht. Während öffentlich so getan wird, als warte man nur darauf, endlich weltweit als Heilsarmee tätig werden zu dürfen, läßt der Generalinspekteur Papiere schreiben, in denen von der Sicherung der Energieversorgungslinien rund um den Globus und der Verteidigung deutscher Grenzen in der Dritten Welt die Rede ist. Ginge es tatsächlich um Friedenssicherung, müßte hier und jetzt darüber diskutiert werden, wie die Bundesrepublik dazu beitragen kann, die UNO als Instrument zur Verhinderung von Krieg zu stärken. Statt dessen geht es darum, daß ein souveräner Staat, Deutschland, wie alle anderen souveränen Staaten, an denen die Bundesregierung sich gerne mißt, das Recht haben muß, seine Soldaten zur Durchsetzung seiner Interessen dahin zu schicken, wo er es für notwendig erachtet. Statt Wege zur Friedenssicherung sucht Bonn Wege zur Macht. Das nennt sich dann Normalisierung und ist doch im Kern dasselbe nationalstaatliche Denken wie im Kaukasus auch. Jürgen Gottschlich