„Wir lassen uns nicht erpressen“

■ Der indonesische Außenminister Ali Alatas zur internationalen Menschenrechtsdiskussion vor der Wiener Konferenz sowie zur Lage in Indonesien

taz: Westliche Regierungen werfen Indonesien und anderen asiatischen Staaten vor, die „Allgemeine Menschenrechtserklärung“ der UNO von 1948 zunehmend in Frage zu stellen, und fürchten eine große Süd-Nord-Konfrontation auf der Wiener Konferenz im kommenden Juni.

Ali Alatas: Als langjähriges Mitglied der UNO und ihrer Menschenrechtskommission in Genf akzeptiert Indonesien die universelle Gültigkeit grundlegender Menschenrechte und Freiheiten sowie die Aufforderung der UNO- Charta an Regierungen und Völker zur Kooperation bei der Förderung und dem Schutz dieser Menschenrechte. Aber für uns bedeutet Kooperation nicht gegenseitige Verurteilung, sondern Dialog unter ebenbürtigen Partnern. Ob große oder kleine Staaten — unter der UNO-Charta sind wir alle gleichberechtigt, und wir erkennen gegenseitig unsere unterschiedlichen nationalen Identitäten, Geschichte und Kulturen an. Menschenrechte sind eine ethische, keine politische Angelegenheit. Deshalb lehnen wir alles ab, was mit politischer Motivation geschieht, wie zum Beispiel die von Portugal gesteuerte Kampagne zur Situation in Ost-Timor, für die die anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft sich bei der jüngsten Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission leider haben einspannen lassen.

Akzeptieren Sie die Verknüpfung von Menschenrechten und Entwicklungshilfe beziehungsweise wirtschaftlicher Zusammenarbeit, die die Regierungen Deutschlands und anderer westlicher Staaten zunehmend praktizieren?

Menschenrechte sind wichtig, und Entwicklung ist wichtig. Aber beides zu verknüpfen oder gar das eine zur Vorbedingung für das andere zu machen, lehnen wir ab. Das nutzt weder den Menschenrechten noch der Entwicklung. Wir lassen uns nicht erpressen.

Die Vorwürfe, die Mitte März zur Verurteilung Indonesiens durch die UNO-Menschenrechtskommission unter anderem wegen „fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor“ führten, wurden nicht nur von Portugal erhoben, sondern auch von amnesty international, einer regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisation.

Ich kenne den Status von amnesty international sehr wohl. Wir werfen der Organisation vor, daß sie sich immer wieder auf Informationen stützt und diese als Tatsachen verbreitet, die wir höchst zweifelhaft finden. Und amnesty international ignoriert die Informationen, die sie von uns erhalten. Vor allem aber mögen wir den scharfen, anklägerischen Ton nicht, den sie anschlägt. Diese Themen sollten in einer ruhigen Atmosphäre diskutiert werden. Vor anderthalb Jahren schien amnesty international das verstanden zu haben. Doch nach den Ereignissen vom 12. November 1991 in Ost-Timor verfiel sie wieder in ihre alte Rolle und produziert seither lauter hochemotionale Anklagen gegen Indonesien.

Aber das kann sie doch nicht ernsthaft wundern. Ihre Regierung hat ja die Umstände des Massakers von Santa Cruz bis heute nicht aufgeklärt und alle diesbezüglichen Auflagen der UNO-Menschenrechtskommission vom März 1992 nicht erfüllt.

Die Ereignisse vom 12. November 1991 waren ein unglücklicher Zwischenfall, ein Fehler, der keineswegs die Politik der indonesischen Regierung oder der Armeeführung widerspiegelt. Lokale Offiziere wurden provoziert, verloren die Kontrolle und feuerten dann auf Demonstranten. Wie 1970 die US-Nationalgarde auf die Studenten der Universität von Kent im Staat Ohio. Wir waren alle geschockt. Zwei Generäle wurden seitdem abgelöst und sechs Offiziere vor Gericht gebracht.

Es gibt eine erhebliche Diskrepanz zwischen diesen eher harmlosen Maßnahmen gegen verantwortliche Militärs und den hohen Gefängnisstrafen für einige der Demonstranten.

Ich gebe zu, das sieht schlecht aus. Aber die Militärgerichtsbarkeit arbeitet bei uns — wie überall auf der Welt — anders als die zivile Strafgerichtsbarkeit. Es ist sehr schwer, einem Soldaten illegale Tötung nachzuweisen. Der für das My-Lai-Massaker in Vietnam verantwortliche Leutnant Kelly, der selber zahlreiche Zivilisten erschossen hat, kam vor einem US- Militärgericht schließlich mit neun Monaten Gefängnis davon.

Ihre Argumente würden international glaubwürdiger wirken, wenn Sie amnesty international, Asia Watch oder andere regierungsunabhängige Menschenrechtsorganisationen endlich ohne jede Einschränkung zur Untersuchung der Vorkommnisse nach Ost-Timor reisen ließen.

Ich persönlich weiß das. Aber ich muß auch in meinem, noch weitgehend von den Militärs bestimmten politischen Umfeld zu Hause operieren.

Interview: Andreas Zumach

Das Interview wurde kurz vor der asiatischen Vorbereitungstagung zur Wiener Menschenrechtskonferenz im März in Jarkata geführt.