Anarchistinnen gegen den Alltagssexismus

■ Unerwarteter Besucheransturm zu den „Libertären Tagen“ in Frankfurt

Die holländische Küchen-Crew „Rampenplan“ war ebenso im Katastropheneinsatz wie die Veranstalter. Der Andrang zu den „Libertären Tagen“ in der Frankfurter Uni, dem ersten großen AnarchistInnen-Treffen seit 1987, war für sie überwältigend. Rund 3.000 Menschen waren gekommen. Sie drängten sich übers Osterwochenende in den überfüllten Arbeitsgruppen, zum Rockfest, zu Performances und um die Stände der 40 Verlage auf der Libertären Buchmesse. Zur Demonstration gegen Rassismus und Staat am Samstag fanden sich immerhin, trotz anfänglicher Ängste vor polizeilicher ebenso wie vor unberechenbarer Gewalt aus den eigenen Reihen, rund 1.000 Menschen ein. „Bunt, kreativ und phantasievoll“ sollte es sein. Und das war es dann auch – so sehr, daß eine Teilnehmerin sich irritiert fragte, „was hier eigentlich falsch läuft, wenn uns sogar schon die Polizei lobt“.

Und so hätten die Begriffsklärungen über staatsferne, anarchistische Theorien und Praxen und deren Selbstdarstellung eitel Freude und Wonne sein können. Betriebe und Initiativen präsentierten ihre Konzepte, in denen die Professionalisierung in vielen Schattierungen handwerklicher und theoretischer Qualifikation im Lauf der letzten Jahre – eher öffentlich unbemerkt – kräftig gewachsen ist. Auch der politische Streit mit Autonomen, der den Kongreß vor sechs Jahren eher blockiert als befördert hatte, fiel mangels Masse der Kontrahenten aus. Dagegen war diesmal Offenheit angesagt, die Kleiderordnung gelockert und Gesichtskontrolle – fast – ganz weggefallen.

Die Kontroverse, die dann doch nicht ausblieb, hatte allerdings schon etliche Jahre in Diskussionen und Grundsatzpapieren geschwelt. Sie brach sich Bahn, als am Samstag abend eine Frau von einem jener Obdachlosen angegriffen wurde, die die Universität an kongreßfreien Tagen als Schlafplatz benutzen. Das, sagten etliche Frauen hinterher übereinstimmend, sei „nicht der eigentliche Skandal“ gewesen. „Wut und Frust“ sei bei ihnen erst richtig aufgekommen, „weil sich die Kongreßmänner so beschissen verhalten haben“. Die Frauen klagten mangelnde Solidarität ein, kritisierten Ignoranz und den gruppeninternen Sexismus. Eine Lesbengruppe aus Göttingen reiste aus Protest geschlossen ab: „Mit eurer Solidarität“, so ihr Vorwurf, „ist es doch sofort vorbei, wenn der Täter nicht in euer Feindbild paßt.“ Sie weigerten sich strikt, den Männern die etwas ratlos gestellte Frage zu beantworten, „was sie denn anders machen sollen“: „Macht euch selber einen Kopf drum!“

Unterschwelliges Führungsgehabe, Western-Manieren und männlicher Aktionismus stehen seit Jahren zur Debatte. „Und“, so eine der Frauen, die geblieben waren, „dieser Dampf mußte mal raus!“ Ihre Konsequenz: „Ich gehe in keine gemischte Gruppe mehr, sondern mache nur noch was mit Frauen zusammen.“

Parallel zu dieser Auseinandersetzung tagten die AGs am Sonntag dann doch in fast konstruktiver Atmosphäre, klärten Begriffe, definierten Wege zwischen Widerstand, Selbstorganisation und -verwaltung, Betriebsarbeit, Ökologie, pädagogische Konzepte, Wege zu Räterepublik und Feminismus.

Als eine der Attraktionen der Tagung präsentierte sich das „Projekt A“, der praktische Versuch einer Vernetzung anarchistischer Unternehmungen, der 1985 begonnen hatte. Der Weg war, stellen die InitiatorInnen in einer Broschüre selbstkritisch fest, „dornenreich“ und verteilte sich, anders als urprünglich geplant, auf mehrere Städte.

Der größte Zusammenschluß entstand in Neustadt an der Weinstraße. Der dort auf dem gemeinsamen Öko-Hof gekelterte Rotwein heißt deshalb konsequenterweise „Erich Mühsam“, der Weiße „Gustav Landauer“. Rund 100 Menschen haben in dreizehn selbstverwalteten Betrieben 60 Arbeitsplätze geschaffen. Der Grad der Zusammenarbeit im Trägerverein WESPE (Werk selbstverwalteter Projekte und Einrichtung) richtet sich nach der jeweiligen Bereitschaft. „Die Anarchisten“, so ein Fazit, „sind dazu übergegangen, lieber viele kleine Brötchen zu backen, anstatt theatralisch mit der Faust auf den Sack Mehl zu hauen“.

Bei der Begriffsklärung, was denn nun „Anarchismus“ sei, dominierte die negative Bestimmung der Abgrenzung von „roten Mythen aus der Mottenkiste des Leninismus“ bis zum bornierten Lederjacken- Militarismus. Volkes Stimme dazu sammelten Videofilmer bei Straßeninterviews zusammen. Das reichte vom „Chaos“ und einem breit frankfurterischen „Durschenannää“ bis zur „Utopie von einer herrschaftsfreien Gesellschaft“. Ernster und verhalten optimistisch definierten die Veranstalter ihren Kongreß in einer kleinen Pressekonferenz: „Daß wir uns jetzt nicht mehr gegen den real nicht mehr existierenden Kommunismus abgrenzen müssen, kann auch eine Chance sein.“ Heide Platen