Streicheleinheiten in Marschacht

■ Leukämie in der Elbmarsch: Bürgerinitiative und Niedersachsen-Chef loben sich wechselseitig / Schröder will handeln

: Bürgerinitiative und Niedersachsen-Chef loben sich wechselseitig / Schröder will handeln

Zeit für Streicheleinheiten. Nach einem zweistündigen Gespräch zwischen VertreterInnen der Initiative „Leukämie in der Elbmarsch“ und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder waren gestern beide Seiten voll des Lobes für den Diskussionspartner. „Die außerordentlich sachkundige Bürgerinitiative ist ein qualifizierter Dialogpartner für die Landesregierung“, bauchpinselte der Regierungschef die Basis, um sich seinerseits von dieser attestieren zu lassen, „nun wichtige Schritte zur Aufklärung der erhöhten Blutkrebsrate zu gehen“.

Denn noch während des Meinungsaustauschs in dem niedersächsischen, vis-à-vis von Geesthacht gelegenen Elb-Dörfchen Marschacht schnürte der Landeschef ein Aktions-Paket zur zügigen Aufklärung der erhöhten Leukämierate im Umfeld des Atommeilers Krümmel. Ein Paket, so ganz nach den Wünschen der Bürgerinitiative. „Das machen wir so“, legte Schröder seinen Kurs mit einer politikeruntypischen Entschlußgeschwindigkeit fest, die selbst den der Landesregierung sonst eher kritisch gegenüberstehenden Bürgerinitiativlern fast die Sprache verschlug. Drei konkrete Maßnahmen stehen dabei im Vordergrund:

1. Noch bis Ende dieses Monats will die niedersächsische Landesregierung eine neue, mit StrahlenexpertInnen und PhysikerInnen besetzte Arbeitsgruppe einrichten, die zielgerichtet untersucht, ob radioaktive Strahlung aus Krümmel oder dem benachbarten Kernforschungszentrum GKSS zu der Blutkrebshäufung geführt haben. Dabei will Schröder dafür Sorge tragen, daß die Kommission nicht mehrheitlich mit Wissenschaftlern besetzt ist, die als allzu atomfreundlich gelten. „An Geld und Personal wird es bei der Aufklärung der Zusammenhänge trotz angespannter Haushaltslage nicht fehlen“, betonte der Ministerpräsident: „Da setze ich deutliche politische Schwerpunkte.“

2. Damit die Strahlenexperten auf einer vernünftigen Faktengrundlage arbeiten können, sollen die Betreiber des Kernforschungszentrums und des Atomreaktors in Krümmel notfalls mit Hilfe des Atomgesetzes angewiesen werden, bisher unveröffentlichte interne Daten rauszurücken. „Bislang ist nur aufbereitetes Datenmaterial auf dem Tisch der Leukämie-Kommission gelandet“, hatte BI-Sprecher Eugen Prinz zuvor beklagt. Nach Auffassung der Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake weisen neueste Untersuchungen über die Anreicherung radioaktiver Stoffe in Baumscheiben darauf hin, daß es 1986 in einem der beiden Reaktoren „zu einem Unfall oder mehreren Störfällen“ gekommen sein muß.

Um das zu überprüfen, will Schröder die mit der Reaktoraufsicht betraute Kieler Landesregierung auffordern, auf Grundlage des Atomgesetzes unabhängige Gutachter in den GKSS-Forschungsreaktor und nach Krümmel zu entsenden. Dort sollen die Experten Einblick in alle Reaktor-Aufzeichnungen erhalten. Schröder: „In Stade haben wir das auch durchsetzen können.“

Einen zweiten Brief des Ministerpräsidenten werden Hamburg- Häuptling Henning Voscherau und Umweltsenator Fritz Vahrenholt erhalten. Vahrenholt, Aufsichtsratsvorsitzender des Krümmel- Mehrheitseigners HEW, soll dafür Sorge tragen, daß sich die Kraftwerksbetreiber nicht gegen die Datenfreigabe wehren. Damit auch die internen Daten des GKSS-Reaktors das Licht der Öffentlichkeit erblicken, will sich Gerhard Schröder an die Bundesländer und den Bund, denen das Forschungszentrum gemeinsam gehört, wenden.

3. Kommende Woche sollen die Ergebnisse einer Studie der Leukämie-Kommission zugehen, die bei Kindern aus der Elbmarsch und in Plön im Blutbild die Häufigkeit strahlenbedingter Erbgutverände-

1rungen im Vergleich untersucht. Da selbst die analysierenden ForscherInnen nicht wußten, welche Blutprobe aus welchem der beiden Gebiete stammt, ist eine „Dechiffrie-

1rung“ der Proben notwendig. An ihr, das sagte Schröder zu, soll auch ein Mitglied der Bürgerinitiative teilnehmen, um Manipulationen auszuschließen. Marco Carini