Rundfunkfreiheit auf bayr. Art

■ Extrawurst für Leo Kirch - bayerische Verfassungsrichter lassen seinen Sportsender DSF weitersenden

Die Springer/Kirch-Fernsehfamilie jubelte ohne Unterlaß. Bis in die Morgenstunden des Gründonnerstag widmete Pro 7 in jedem seiner nicht gerade üppigen Nachrichten-Blöcke dem Sieg einer Konzernschwester eine Langmeldung nebst ausführlichem Filmbeitrag. Denn nach ungewöhnlich kurzer Sitzung und ohne mündliche Verhandlung hatte das Bayerische Verfassungsgericht per einstweiliger Anordnung am vergangenen Mittwoch die Sendeerlaubnis für das in München ansässige Deutsche Sportfernsehen (DSF) wieder in Kraft gesetzt.

Die Lizenz des DSF, das seit Jahresbeginn die Frequenzen des früheren Fastfood-TV Tele 5 okkupiert, war am 26. März vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof für ungültig erklärt worden. Mehrere Landesmedienanstalten kündigten an, das DSF aus ihren Kabelnetzen herauszuwerfen, warteten aber die Entscheidung des bayerischen Verfassungsgerichts ab. Nun speisen Hessen, Thüringen, Niedersachsen, Hamburg und NRW das DSF zähneknirschend weiter ein, weil die Lizenz rein „formell“ wieder legal ist. Bei der Berliner Medienanstalt, die die Klage gegen das DSF startete, stellt man sich jetzt die Frage, ob Bayern überhaupt noch bundesweite Veranstalter zulassen darf. Eingespeist wird nicht, denn auf der Warteliste steht dort noch RTL 2. Die jetzige einstweilige Anordnung war von der zuständigen Bayerischen Anstalt für neue Medien (BLM) sowie der DSF- Besitzerin KMP Kabelmedia Programmgesellschaft mbH beantragt worden, die zum Imperium des Medientycoons Leo Kirch gehört. Der Rundfunk-Alleingang wurde möglich, weil das CSU-Land das einzige Bundesland ist, das kein Privatfernsehen zuläßt. Nach Artikel 111 a der bayerischen Verfassung ist statt dessen die BLM selbst öffentlich-rechtlicher Träger der Kommerzkanäle, die sie zu kontrollieren hat.

Daß die bayerischen Verfassungsrichter pro domo entscheiden würden, hatten Insider spätestens geargwöhnt, seit am Tag vorher Gerichtssprecher Dr.Tilch angekündigt hatte, daß der Spruch schon eine Stunde nach Sitzungsbeginn zu erwarten sei. Und das, obwohl zwei der acht Beisitzer Vorsitzende Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sind! Dieser hatte die DSF-Lizenz ausgesetzt, bis über die anhängigen Anfechtungsklagen der Berlin- Brandenburgischen Medienanstalt (MABB) und der niedersächsischen Landesrundfunkanstalt entschieden und die (Rundfunk-)gesetzwidrige Verfilzung der Kirch- Gruppe mit fünf Privatsendern (DSF, Pro 7, Kabelkanal, Sat.1 und premiere) und dem Presse-Großverlag Springer aufgeklärt worden ist. Am DSF sind Springer und Kirch mit 49,4 Prozent beteiligt, während Kirch gleichzeitig mindestens 35 Prozent der Springer-Aktien hält und beide zusammen knapp 74 Prozent von Sat.1 besitzen. Zudem werden die Kirch-Sender DSF, Pro 7 und Kabelkanal von der ebenfalls Kirch-eigenen Marketinggesellschaft MGM gemeinsam in einem sogenannten „Portofolio“ vermarktet.

Gewichtige wirtschaftliche Interessen spielen in dem Lizenzstreit denn auch eine wesentliche Rolle. Obwohl die bayerischen Verfassungsrichter in ihrer Urteilsbegründung betonten, daß sie mit dem Eilverfahren lediglich die jeweils möglichen Nachteile für die am Verfahren Beteiligten abzuwägen hätten, ohne daß es auf die vorgetragenen Gründe ankäme, räumten sie der von Kirchs KMP und der BLM eingelegten Verfassungsbeschwerde, über die noch verhandelt werden muß, „auch bei nur summarischer Beurteilung der Sach- und Rechtslage“ Erfolgsaussichten ein.

Ohne einstweilige Anordnung, hatte die KMP gejammert, werde sie „in ihrer Existenz vernichtend getroffen“. Der durch „eine auch nur vorübergehende Sendeunterbrechung“ von der KMP beteuerte „Einnahmeausfall von 340 Millionen DM im Laufe der nächsten drei Jahre sowie der unwiederbringliche Verlust der seit 1984 (!) investierten 500 Millionen DM“ wogen nach Ansicht der eil-urteilenden Verfassungsrichter offensichtlich schwerer als die reklamierte bundesweite Medien-Majorisierung durch den Kirch-Clan und das Ertränken der grundgesetzlich geschützten Meinungsvielfalt in einer Flut von Kirchs „More of the same“-Dutzendware.

Expressis verbis redeten die Verfassungsrichter allerdings dem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit das Wort – vielmehr einzig dem der BLM, das offenbar allein schon deshalb doppelt wiegt, weil es ja beispielsweise das der KMP huckepack trägt.

Die BLM hatte sich in ihrem Antrag auf ein „Willkürverbot“ in der bayrischen Verfassung berufen und gerügt, daß die anderen deutschen Medienanstalten sie unter ihre Kontrolle zwingen wollten. Und das, wo doch keine von ihnen dieses bayerische Privileg besitzt, gleichzeitig Veranstalter und Kontrolleur der Kommerzkanäle zu sein. Nach dem Bayerischen Verwaltungs-Verfahrensgesetz dürfe die BLM „Ausnahmen vom Begründungszwang“ machen und allein verbindlich feststellen, daß ihre eigene Zulassung des DSF „mit dem Grundsatz der Medienvielfalt übereinstimmt“. Nachdem der Verwaltungsgerichtshof dieser Logik nichts abzugewinnen vermocht hatte, zeigten die Verfassungsrichter dafür jetzt Verständnis.

Nicht ausgeschlossen werden könne dagegen, daß der Verwaltungsgerichtshof seinerseits „Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Rundfunkfreiheit verkennt, wenn er Medienanstalten anderer Länder der Bundesrepublik Deutschland Einflußnahmen auf den Rundfunkbetrieb der BLM zubilligt“.

Der BLM, so die Richter, könne nicht zugemutet werden, die rechtskräftige Beendigung des Hauptverfahrens abzuwarten. Wenn sie am Ende recht bekäme, bedeute die Aussetzung ihrer Sendeerlaubnis für das DSF „einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit der BLM, der nachträglich nicht mehr beseitigt werden könnte“. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung. Praktisch ist damit aber das von BLM und DSF bemühte „Willkürverbot“ in sein Gegenteil verkehrt, denn jetzt überrollt die bajuwarische Extrawurst die gesamte Republik. Ulla Küspert