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Schiller für Puristen

■ Nicolai Sykosch inszenierte „Kabale und Liebe“ am Hamburger Thalia Theater

Nun hat sich also auch am Theater die „schlanke Produktion“, die Bühnenbild, Handlungsverlauf und Figuren aufs Wesentliche reduziert, durchgesetzt. Statt der oft so beliebten Ausstattungsorgien, der verkrampften Aktualisierungsversuche und der stumpfsinnigen running gags, mit denen etwa Hans Neuenfels oder Leander Haußmann so gern die Klassiker denunzieren, hat der junge Regisseur Nicolai Sykosch dieses bürgerliche teutsche Trauerspiel um die Aristokraten-Intrigen auf ein minimal play mit klaren Strukturen und scharf gezeichneten Charakteren reduziert. Wofür sich das Publikum mit donnerndem Applaus bedankte.

Aber wie aktuell ist dieser bühnenwirksame Dolchstoß in das Herz der Aristokratie heute noch? Als der 23jährige Schiller das Stück 1783 im württembergischen Arrest begann, wollte er zeigen, daß das Bürgertum zur „Würde des Tragischen“ fähig war. Doch das kann ja heute, wo sich auch Berti Vogts, Amigo-Streibl und Affären- Krause in der Pose des Tragischen ganz toll finden, kaum noch Sinn der theatralischen Übung sein.

Daß es hier nun um die Arroganz der Macht geht, die alles im Wege stehende niederwalzt, deutet schon das karge, überdimensionierte Bühnenbild von Dirk Thiele an: die riesige Spielfläche, mit nur wenigen, häßlichen Möbeln und schmalen Lyonel-Feininger-Arabesken verunziert, läßt die Bühnenfiguren auf Schachfigurengröße schrumpfen. Wir könnten uns in einer Stasi-Kantine befinden – oder in einer Nato-Tiefgarage.

Keine treuhänderische Abwicklung eines verstaubten Klassiker- Erbes also, sondern kaltschnäuzige Planspiele in den Schaltzentralen der Macht, die vorübergehend von den überdrehten, blauäugigen Tändeleien des jungen Liebespaares durchkreuzt werden. Ferdinand (Dietmar König) rutscht da zwar aufgeregt mit seinem Rosenstrauß über die Bühne, doch das wirkt aufgrund seiner totalen Hingabe so wenig pathetisch wie Luises (Cornelia Schirmer) Liebesschwur: „Du hast den Feuerbrand in mein junges friedsames Herz geworfen, und es wird nimmer, nimmer gelöscht werden.“

Die großartige Ernsthaftigkeit des Puristen Sykosch, der mit dem Blick fürs Wesentliche auch den wunderbaren Reiz der Schillerschen Sprache wiederentdeckt, hat sich auf alle Darsteller übertragen. So ist der Sekretär Wurm, üblicherweise als Intrigen-Ekel vorgeführt, hier ein cleverer Schreibtischtäter, der sogar ohne amtliche Richtlinien zu zwar äußerst fiesem, aber doch selbständigem Handeln fähig ist. Justus von Dohnanyi verleiht ihm sogar noch einen Hauch von edler Größe, wenn er am Schluß den Präsidenten angiftet: „Es soll mich kitzeln, Bube, mit dir verdammt zu sein!“

Der machtbesessene Aufsteiger-Präsident von Walter, Christoph Bantzer, ist einer dieser eiskalten Bürokraten-Typen, wie sie in Bonn und Brüssel residieren: auf Karriere und Machtfülle fixiert und unfähig, eine katastrophale Entscheidung als Fehler einzugestehen. Disziplinierter, kühler und überzeugender ist diese Kreatur wohl kaum darzustellen.

Und dann der bunte Farbtupfer in diesem düsteren Vorzimmer zur Hölle: der affig-tuntige Jan Josef Liefers als Hofmarschall von Kalb, der für seine zickig-punkigen Auftritte, die doch nie schrill überzogen waren, Szenenapplaus bekam. Glänzend als zwar biederes, aber nicht dumpf-verblödetes Musikerpaar Miller: Peter Franke als aufrechter, teilweise aufmüpfiger Kritiker der Präsidentenwillkür und Angelika Thomas als besorgtes Mütterchen mit dem Hang zum Höheren. Kein bißchen peinlich wirkt die schwer zu spielende emanzipierte Mätresse Milford mit dem wachen Gewissen, die Victoria Trautmannsdorff überzeugend verkörpert.

Regisseur Nicolai Sykosch, von dem vorher nur die furiose Familienposse „Hase Hase“ am TiK zu sehen war, hat mit einem hervorragendem Ensemble Schiller als aktuellen Zeitgenossen präsentiert und mit seiner dreistündigen Inszenierung für den vorläufigen Höhepunkt der Hamburger Theatersaison gesorgt. Peter Münder

„Kabale und Liebe“, Regie: Nicolai Sykosch; Bühnenbild: Dirk Thiele; Kostüme: Veronika Dorn. Mit Christoph Bantzer, Jan Josef Liefers, Lothar Rehfeldt, Oana Solomonescu. Thalia Theater, Hamburg.

Weitere Vorstellungen: 21. und 27.April, 4. und 5.Mai.

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