Nur kein Opfermythos

■ Franz-Fühmann-Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste (Ost)

Kein Aufsehen mehr. „Es bleibt nichts anderes als das Werk“ – erinnern zwischen den Jubiläen: 1992 wäre Franz Fühmann 70 Jahre alt geworden, 1994 wird es zehn Jahre her sein, daß er starb. Die Ausstellung gibt sich unspektakulär, normal: Fühmann, Franz Antonia Joseph Rudolf Maria; geboren 1922 in Böhmen, Schriftsteller der DDR. Kein Held, kein Anti-Held, am Ende (auch) Beobachtungsobjekt des MfS.

Nur kein Opfermythos: Die Ausstellungsplanerin Barbara Heinze unterstreicht diesen Fühmannschen Gestus mit einem (unnötigen) Kunstgriff: Sie drängt den Tod in eine Ecke des letzten Raums und spart das bittere Fazit des Dichters aus. Fühmann glaubte sich gescheitert „in der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten“ (Testament, 1983). Das Testament fehlt im Marstall der Kunstakademie (Ost); auch die Totenmaske, von der im Katalog die Rede ist. Aber das Bittere ist ahnbar, selbst wenn man um des Dichters Ende nicht weiß: Gleich am Eingang hängt ein lebensgroßes Porträt. Da sitzt der alte Fühmann, aufrecht, aber die Schultern leicht eingezogen. Man sieht ihn dreimal: beim Eintreten, beim Gehen – und wenn man sich abwendet von den Schautafeln, die Fühmanns Bruch mit den staatstragenden Antifaschisten der DDR dokumentieren. – „Es war mir ernst mit der Doktrin, hinter der ich noch durch die verzerrtesten Züge das Gesicht der Befreier von Auschwitz sah“, hat Fühmann über sein Bekenntnis zum Arbeiter- und Bauernstaat stalinistischer Prägung gesagt. Auf den Schauwänden im Marstall steht dieser Satz unter der Überschrift Die sechziger Jahre – Bitterfelder Weg – 11.Plenum – Prager Frühling. Bis 1968 hat Fühmann die DDR noch rückhaltlos vertreten, bis 1964 sogar mit aller bösen Konsequenz. Er verteidigte den Mauerbau öffentlich und hackte auf Heiner Müllers „Umsiedlerin“ herum. Das erste Beispiel ist in den Vitrinen im Marstall nachzulesen, das zweite nicht – um Heiner Müller herrscht derzeit peinliches Schweigen.

1968 wäre Fühmann beinahe gestorben. Er war alkoholkrank, überfettet, aufgedunsen. Auch darüber in der Ausstellung kaum ein Wort. Aber die Krise ist spürbar: Man dreht sich um, und noch bevor man sich über die Vitrinen beugen kann, die die Schuld der anderen zeigen, sitzt da Fühmann am Eingang – im Strickpullover, die Arme und Hände lose über den Knien gekreuzt, entspannt, traurig: Barbara Heinze hat den Abschied des ehemaligen Faschisten (der sich auch selbst so bezeichnete) vom Kommunismus eindringlich inszeniert. Links eine Skulptur („Passion“) von Fühmanns Freund Wieland Förster aus dem Jahre 1966, rechts eine Bronze von 1969: Fühmanns Kopf; massig, überwölbte Stirn, der Blick unten, die Augen vergraben. Kein Triumph.

Aber Trost: Daneben hängt ein Bild, das am Ende der siebziger Jahre entstanden sein muß. (Es ist nicht datiert, und die Ausstellung hält sich nicht sklavisch an die Chronologie.) Da ist der Blick dann doch oben, lächelnd, verschmitzt, die Mundwinkel leicht nach oben gezogen wie zum Spott – einer, der weiß: Die siebziger Jahre hat Fühmann beschrieben als die Zeit, in der er frei schreiben konnte, ohne ideologisches Stützkorsett.

Im Katalog steht jene Fotografie neben der Dankesrede für den Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München, den Fühmann 1982 für seinen Georg-Trakl-Essay erhielt. Da war er für die Kulturfunktionäre der DDR schon Persona non grata. Unter Glas liegen die Grußadressen zum Preis. Eine von Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann ist auch dabei – von dem Hoffmann, der 1980 daran beteiligt war, Fühmann vollends unmöglich zu machen in der DDR.

Zu den Bildern, Zitaten, Manuskripten, zu den Büchern aus dem Nachlaß gibt es in der Ausstellung keinen Kommentar außer der Ordnung der Dinge. Der aber ist heftig: „Das Mass“, ein Gedicht des SA-Manns Franz Fühmann erschien im Januar 1945 in der Nazizeitung „Das Reich“. Daneben hängt, mit den gleichen Kartonstreifen markiert, sein erster Aufsatz im Neuen Deutschland. Dazwischen liegen weniger als drei Jahre. Die ND-Redaktion stellt ihn dennoch als einen „antifaschistischen Kriegsgefangenen“ vor.

Das steht am Anfang, gleich nach den ersten Tafeln Kindheit, Schulzeit, Krieg. Das Ende besorgt die Staatssicherheit, fünf Jahre verspätet, mit einer Notiz vom 21. April 1989: „Es wird vorgeschlagen, die operative Bearbeitung des OV ,Filou‘ abzuschließen und den Vorgang der Abteilung VII zur Ablage zu bringen.“ Friederike Freier

„Franz Fühmann – Es bleibt nichts anderes als das Werk“: Ausstellung der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin (Ost). Zusammengestellt von Barbara Heinze; Mitarbeit: Gudrun Schmidt, Christina Möller, Karin Fiedler, Jürgen Kaulfuß; noch bis 25.4. im Marstall, Marx-Engels- Platz; Katalog 80S., 19DM