In der Seele kämpfen Wölfe

■ Prostituiertenmorde: Gericht ordnet Unterbringung in der Psychiatrie an

„Nicht schuldfähig“ waren sich alle Prozeßbeteiligten einig. Das Urteil war dann auch keine Überraschung: „Hiermit wird die Unterbringung in einer Psychiatrischen Anstalt angeordnet.“ Ralf W. (33), den die Staatsanwaltschaft des zweifachen Mordes an den beiden Prostituierten Bianca Z. und Bettina A. beschuldigte (vgl. taz v. 14.4.), hat zur Tatzeit nach Ansicht von Sachverständigen und Gericht bereits in einem Wahnsystem gelebt. In seinem Wahn war Ralf W. den Stimmen in seinem Kopf gefolgt, die ihm befohlen hatten, die beiden drogenabhängigen Frauen zu töten.

„Solange Sie krank sind, ist zu befürchten, daß Sie für andere gefährlich werden“, versuchte Richterin Hilka Robrecht, dem Angeklagten das Urteil nahezubringen, der nach Auffassung der Sachverständigen keine Einsicht in seine Krankheit und das Unrecht seiner Tat zeigt — auch dies krankheitsbedingt. „Wir hoffen, daß Ihre Krankheit behandelt werden kann und daß sich das Wahnsystem auflöst“, so die Richterin.

Ob dies jemals erreicht werden kann, ist völlig ungewiß. Prognosen wagten Psychologe und Psychiater nicht abzugeben, nur soviel: Das Rückfallrisiko sei sehr hoch. In ihrer Diagnose waren Harald Schmidt und Axel Titgemeyer sich unterdessen einig: „Paranoid halluzinatorische Psychose“, eine krankhafte seelische Störung. „Früher hätte man gesagt geisteskrank“, so Titgemeyer, der einige Wochen gebraucht hatte, um dem sehr verschlossenen, introvertierten Mann Informationen über sein Seelenleben zu entlocken.

„Klassisch“ nannte der Psychiater einige Symptome aus dem Leben Ralf W.s: typisch zum Beispiel, daß die Krankheit im Alter von Anfang bis Mitte 30 auftauchte. Typisch auch, daß er kaum Freunde hatte, sich immer mehr zurückzog, zunehmend ängstlich und aggressiv reagierte, während sich der Abstand zu seinen Mitmenschen weiter vergrößerte. Dieser noch völlig unauffälligen Phase folgten erste Wahnstimmungen: Schwierigkeiten, die Umwelt zu verstehen, die immer bedrohlicher wurde. Ereignisse bekommen dann „abnorme“ Bedeutungen für den Betroffenen, in seinem Kopf beginnt die „Wahnarbeit“. Die Mutter habe ihn z.B. beobachtet — wenn er im Wirtshaus war, das habe er an den Reaktionen des Wirts gemerkt.

„Auflösung der Ichgröße“, nennen Mediziner den einsetzenden Prozeß. Die Gedanken verselbständigen sich, werden „laut“ und dem Menschen „entzogen“. Für Dr. Titgemeyer war Ralf W.s wiederholte Aussage, seine Gedanken würden „abgehört“ deshalb ein „klassisches Primärsymptom.“ Ralf W. fühlte sich in Untersuchungsgefängnis wie Krankenhaus durch „Apparate“ beobachtet. Ein „Brennen auf der Haut“ zeige ihm an, wann und aus welcher Richtung die Beobachtung stattfinde.

Mit normalen Denkkategorien lasse sich das Handeln der Kranken nicht verstehen, erläuterte Titgemeyer. Oft werde das in sich schlüssige Wahnsystem nur zufällig entdeckt, selbst dann sei es psyhotherapeutisch nicht zu behandeln. Und mit den Medikamenten habe man ihn nur äußerlich beruhigen können. W. fühlt sich dreigeteilt: als grauer Wolf (was seiner früheren Persönlichkeit entspreche), als weißer Wolf (depressiv und gleichmütig) und als schwarzer Panther (der die Wut verkörpere und „mit einem Lachen jemanden töten kann“). Diesem zersplitterten Denken und Fühlen W.s fehlt das „gemeinsame Dach“: Er habe keinen Einfluß auf den Kampf der beiden Wölfe gegen den Panther. ra