Gott Garri und die Welt

Wie Ex-Champion Anatoli Karpow im Geschäft bleiben will  ■ Von Stefan Löffler

Berlin (taz) – „Die Ära Karpow ist vorbei. Er bleibt ein großer Spieler, aber um den Weltmeistertitel wird er nicht mehr kämpfen“, prognostizierte Garri Kasparow im Vorjahr, als sein bestgehaßter Dauerrivale gegen den Briten Nigel Short aus dem Kandidatenturnier schied. Nachdem K und K fünf WM-Kämpfe lang zu wahren Schachgeldmeistern aufgestiegen waren, begann Kasparow nämlich, sich Sorgen um die Vermarktung des immergleichen Duells zu machen. Über Karpows Niederlage frohlockte er: „Das ist sehr gut für mich, für die Schachwelt, für die Profis, für die Fans und für die Medien.“ Doch in der Variantenberechnung hatte Garri etwas übersehen: Sein nächster WM-Kontrahent würde im Gegensatz zu Karpow, der immerhin Weltranglistenzweiter ist, kaum reelle Gewinnchancen haben.

Aber nicht etwa unter der erwarteten Einseitigkeit litt das WM- Geschäft. Kasparows Unberechenbarkeit beschränkte sich einige Male mehr nicht auf das Brett. Anstatt die Entscheidung des Weltschachbundes FIDE für den Austragungsort Manchester zu akzeptieren, verbündete er sich mit Herausforderer Short, um ihren Zweikampf als „professionelle“ WM neu zu Markte zu tragen – Gelegenheit für Karpow, wieder wie in alten Tagen über seinen Nachfolger zu schimpfen: „Es ist absurd, mitten im Zyklus die Regeln umzuwerfen. Es wäre dasselbe, wenn die letzten zwei in Wimbledon das Finalspiel nach Paris oder Flushing Meadows verlegen, weil sie dort besser kassieren können.“ Kopfschüttelnd rechnet Tolja vor: „Sie bekommen in London wahrscheinlich nur 100.000 Pfund mehr als in Manchester. Das ist das Risiko bestimmt nicht wert.“

Kurz bevor Kasparow und Short auf einer Pressekonferenz vier allesamt Londoner Bewerbungen für ihr wildes Match öffneten, hatte der FIDE-Kandidat Manchester nämlich sein ursprüngliches Gebot von 1,2 Millionen Pfund auf 1,6 Millionen (etwa 3,8 Millionen Mark) erhöht. Alleine Kasparow verschmähte den Kompromiß, um den Schachfunktionären eins auszuwischen. Derzeit verhandeln die beiden Rebellen mit der Londoner Times um einen Preisfonds von 1,7 Millionen Pfund. Aber unterzeichnet ist im Gegenteil zu einer Titelseitenmeldung der Times vor zwei Wochen noch nichts. Nach Gerüchten, die Karpow gerne verbreiten hilft, konnte das konservativ-renommierliche Tagblatt bisher keine Bankgarantie vorlegen. Times- Schachkorrespondent Raymond Keene macht jedenfalls Gott Garri und die Schachwelt verrückt, um Co-Sponsoren zu finden. Karpow würde es nicht wundern, wenn die Verhandlungen aus Geldmangel noch platzen würden.

Darüber hinaus trage Kasparow die Schuld, daß die FIDE das WM- Match nicht teurer verkaufen konnte. „Er hat bis zuletzt auf Los Angeles bestanden“, erinnert Karpow an die erfolglose Bewerbung von Kasparows kalifornischen Geschäftspartnern. Als sie im vorigen Dezember ihr Scheitern eingestanden, sei es für ein optimales Angebot zu spät gewesen. Dann heuchelt Tolja Mitleid für den Herausforderer: „Short bereut es bestimmt. Das ganze Risiko ist ja auf seiner Seite.“ Kasparow könne ihn jederzeit fallen lassen, um einen anderen Gegner zu wählen. Seine unangefochtene Spitzenstellung auf der Weltrangliste legitimiert den im Zweikampf unbesiegten 30jährigen eindeutig für den Wettkampf der Besten, während Short zuletzt nur in den Kandidatenwettkämpfen glänzen konnte.

Die FIDE ist durch ihr Regelwerk gebunden, ein offizielles WM-Match auszutragen. Nach der Disqualifikation von Kasparow und Short haben die Schachfunktionäre als Nachrücker Karpow (41) und den gleichaltrigen Jan Timman bestimmt. Während der Niederländer zunächst zögerte und anregte, ein anderes Etikett als „Weltmeisterschaft“ zu erfinden, war Karpow sofort bei der Sache. Der klare Favorit des FIDE- Matches hat eine lukrative Lösung parat: „Anschließend sollten die beiden Sieger das große Finale spielen. Man darf nicht vergessen, daß Kasparow in Zweikämpfen noch nicht so viel gezeigt hat“, spielt der Vizeweltmeister darauf an, daß er von ihm noch nicht deutlicher als 13 : 11 geschlagen wurde.

Inzwischen hat die FIDE Manchester aus den vertraglichen Verpflichtungen entlassen und sucht bis 7.Mai nach einem neuen Veranstalter. Aus Timmans Heimatstadt Amsterdam und am neuen FIDE-Sitz Athen wurde bereits Interesse an Timman-Karpow bekundet, obwohl diese Paarung deutlich weniger Publicity verspricht als das möglicherweise gleichzeitige Match zwischen Kasparow und Short.

Während alle vier potentiellen Weltmeister ständig über Geld und Glaubwürdigkeit nachdenken und vorsprechen, leidet naturgemäß ihr schachliches Tagewerk. Short verteidigte zuletzt bei einer kombinierten Schnell- und Blindschachkonkurrenz in Monte Carlo unangefochten den letzten Platz. Auch Karpow schlägt sich im laufenden Dortmunder Turnier bisher unter Wert.