Ein Haus für die Opfer

Für die Opfer der Massen- vergewaltigungen in Bosnien haben zahlreiche Regierungen Gelder zur Verfügung gestellt. Allzu viel ist davon bei den betroffenen Frauen bisher aber nicht angekommen  ■ Von Erich Rathfelder

Die Öffentlichkeit wurde im Herbst 1992 alarmiert. Zwar hatte die taz schon am 8. August auf die systematischen Massenvergewaltigungen in Bosnien hingewiesen, doch erst als sich die „großen“ Medien wie der Stern und die Frauensendung Mona Lisa des Themas annahmen, wurde die Öffentlichkeit wachgerüttelt. Viele wollten den vergewaltigten Frauen helfen, es bildeten sich Gruppen, Diskussionen wurden initiiert, auf Initiative der Journalistin Lea Rosh wurden prominente Frauen Anfang Februar zu einem „Frauentribunal“ in Zagreb eingeladen, die Frauenbeauftragten der Städte und Länder stellten finanzielle Mittel in Aussicht. Und nicht nur in Deutschland war diese Welle der Hilfsbereitschaft sichtbar, auch in der Schweiz und in den USA wurde der Krieg in Bosnien zu einem Thema der Frauenorganisationen.

Die EG kündigte nach einer Initiative von Europaabgeordneten, unter ihnen die Grüne Eva Quistorp, an, Millionenbeträge zur Verfügung zu stellen. Die Regierung Nordrhein-Westfalens war mit einem Millionenbeitrag eine der ersten unter den GeberInnen, und auch die Regierung von Niedersachsen kündigte spezielle Hilfen an. Selbst die auf Sparkurs getrimmte US-amerikanische Regierung ließ sich nicht lumpen. Rund 4,5 Millionen Dollar sollen nach Bosnien fließen. Geld steht jetzt also zur Verfügung, ÄrztInnen und MitarbeiterInnen humanitärer Organisationen, die sich engagieren wollen, ebenfalls.

Doch trotz dieser großen Spendenbereitschaft hat in Bosnien selbst bisher kaum jemand etwas von dem Geldsegen gesehen. Am allerwenigsten die betroffenen Frauen. „Bisher ist bei uns nichts angekommen“, erklärt Nisveta Alispahić, Gynäkologin am Krankenhaus in der ostbosnischen Stadt Tuzla. Auch im zentralbosnischen Zenica sind die die Ärztinnen an der gynäkologischen Abteilung des Hospitals verwundert. „Nicht einmal dringend benötigte Medikamente sind zu uns gelangt.“ Dabei hätten die Krankenhäuser der Region alle Voraussetzungen dazu, den Frauen zu helfen. Nicht nur in den beiden großen Städten der Region stünden Hospitäler zur Verfügung, auch in den kleineren und umkämpften Städten wie Gradacac, Visoko, Konjic oder Travnik. Fast jedes Krankenhaus verfüge über eine gynäkologische Abteilung, auch über Einrichtungen zur Rehabilitation.

Kein Land der Dritten Welt

„In Tuzla gibt es Psychologinnen, die gerade bei Selbstmordgefahr aktiv werden. Langfristig müßten jedoch systematische Rehabilitationsmaßnahmen ergriffen werden. Wissen Sie, wir sind kein Land der Dritten Welt, wie dies manche Leute im Westen offenbar glauben. Wir verfügen über eine ausgeprägte Infrastruktur. Tuzla ist Universitätsstadt und hatte vor dem Krieg auch auf manchen Gebieten der Medizin durchaus Weltniveau“, erklärt Karim Muminhadzic, der Chef der neurologischen Abteilung im Städtischen Krankenhaus von Tuzla. „Konkret fehlt es uns jedoch an Medikamenten und auch an Geld. Sehen Sie das Gebäude dort drüben, das ist der fast fertige Bau eines neuen Krankenhauskomplexes, wir bräuchten nur 500.000 Mark, um ihn fertigzustellen.“

Doch dieses Geld ist nicht da. Die internationalen Organisationen und Institutionen sind mit der Evaluierungsarbeit in Verzug. Dagegen ist in Rekordzeit das erste Projekt fertiggestellt worden, das von der internationalen Frauenbewegung in Bosnien installiert und finanziert worden ist. Das „Medica – Frauentherapiezentrum“, konnte am 3. April in Zenica eröffnet werden.

Das Haus, ein ehemaliger Kindergarten, ist völlig renoviert worden. In zwei Etagen bietet das durchgängig in blauem Farbton gehaltene geräumige Gebäude rund zwanzig Frauen Platz. Die verhältnismäßig großen Schlafräume für je zwei bis drei Personen, die Küche mit angeschlossenem Eßraum, der Operationssaal, Gemeinschaftsräume und die sanitären Anlagen waren schon am 21. März installiert. Erst Ende Dezember 1992 angereist, hat die in der Schweiz aufgewachsene Südtiroler Gynäkologin Monika Hauser eine organisatorische Glanzleistung vollbracht. Nachdem es ihr gelungen war, das Objekt anzumieten, wurde im Februar mit dem Umbau begonnen. Währenddessen reiste die Feministin nach Deutschland und besorgte die notwendigen medizinischen Geräte, die Medikamente und Teile der Inneneinrichtung. Fast alles, „bis auf ein Keyboard eines Computers“, ist in Zenica auch angekommen. Zwölf Mitarbeiterinnen hat Monika Hauser vor Ort geworben, unter ihnen Ärztinnen, Psychologinnen, anderes Betreuungspersonal und Bürokräfte. Mit einem Etat um die 800.000 DM möchte sie in diesem Jahr auskommen.

Doch angesichts der „nicht abschätzbaren Zahl“ von hilfesuchenden Frauen könnte das Projekt schon bald zu klein werden. „Ich will mich aber nicht übernehmen und mich jetzt auf die Arbeit in diesem Haus beschränken“, erklärt die Südtirolerin. „Wir haben es bewußt als das deklariert, was es auch ist, ein Haus für vergewaltigte Frauen.“ Als Erfolg der gesamten Diskussion über die Vergewaltigungen bewertet sie, daß der religiöse Führer von Zenica nach Anfrage in Mekka die Erlaubnis erteilte, noch bis zum vierten Schwangerschaftsmonat Abtreibungen vornehmen zu können. Und sie weist darauf hin, daß ihr nun von vielen Seiten Hilfe und Aufgaben zugewiesen würden. Doch: „Wenn weitere Projekte entstehen sollen, dann müssen sich die Initiatorinnen selbst hierher nach Bosnien bemühen und ihre Ideen umsetzen.“

Daß dieser Tip vor allem für freie Träger gilt, deren MitarbeiterInnen mit erheblichem Engagement ausgestattet sind, liegt auf der Hand. Eine Hemmschwelle ist sicherlich die zeitweilig unsichere Lage durch den Krieg, die viele davon abhält, nach Bosnien zu reisen. Bei den großen Institutionen kommt noch hinzu, daß erst der bürokratische Apparat in Bewegung gesetzt werden muß. So sollen die amerikanischen Gelder nach Auskunft eines US-Arztes dazu benützt werden, um amerikanische ExpertInnen nach Bosnien zu schicken, „doch schon die Vorbereitungszeit dauert zu lange“.

„Sicherlich können wir auch Experten gebrauchen“, erklärt Fuad Tabak, der in Zenica im Rahmen des „Zentrums zur Erforschung der Kriegsverbrechen“ soziale Aktivitäten für überlebende Opfer koordiniert. „Doch auch wir haben Experten und, wie gesagt, soziale Institutionen. Was wir brauchen, ist schlicht Geld.“ Falls die Geberinstitutionen dem gegenüber Bedenken haben, könnten durch gemeinsame Kommissionen Programme erarbeitet und durch Kontrollräte entsprechend überwacht werden.

Hilfe für die Familien

Geld sowie woman- and manpower müßten auch in den sozialen Bereich fließen, viele Vergewaltigte seien Mütter und Witwen, die angesichts der jetzigen Situation gar nicht wissen, wie sie überleben sollen. Die Kinder der Getöteten müßten in Waisenhäusern betreut werden. Die psychologischen Hilfen müßten in den Familien ansetzen und die Männer der betroffenen Frauen einschließen.

Der Ansatz der Frauenbewegung, sich nur auf die vergewaltigten Frauen zu konzentrieren, scheint demgegenüber etwas zu eng geraten. „Doch warum sollten die Frauen, die aus Solidarität mit Frauen handeln, sich der Lösung der gesamten sozialen Probleme widmen, das ist wohl eine allzu bekannte, alte Rolle“, erklärt Leifa Dranić, eine Mitarbeiterin der „Kommission zur Sammlung von Erkenntnissen über die Kriegsverbrechen“ in Tuzla. „Für die Verwundeten, Verstümmelten, für die Krankenhäuser, das gesamte Umfeld sollte sicherlich ebenfalls gespendet werden. Hier wäre vor allem das Feld für die großen Institutionen und Regierungen, die Kooperationsabkommen mit den sozialen Institutionen vor Ort treffen könnten, bei Löhnen von zur Zeit weniger als 100 DM im Monat hätte schon wenig Geld eine große Wirkung.“

Berliner Projekte

In Berlin werden inzwischen im Kreis der Koordinatorinnen von Frauenprojekten über neue Akzente nachgedacht. „Die Frauenbewegung hat den Stein ins Wasser geworfen, die Wellen reißen hoffentlich noch andere mit“, meint denn auch Bosiljka Schedlich, die Leiterin des „Süd-Ost-Europa Kultur e.V.“, wo Informationen über die Projekte gesammelt und für Interessierte zugänglich gemacht werden. Es sei zwar am wichtigsten, in Bosnien selbst zu wirken, doch angesichts der ungeheuren Zahl der Flüchtlingsfrauen, die in absehbarer Zeit wohl nicht zurückkehren könnten, machten auch Projekte in Kroatien, in Deutschland oder anderen europäischen Ländern Sinn.

In Kroatien seien einige Projekte auf dem richtigen Weg, die gemeinsame konkrete Arbeit hätte zudem die Frauengruppen in Zagreb einander nähergebracht. Die breitgefächerten Initiativen müßten freien Raum erhalten. Dem stimmt auch Monika Hauser zu, die darauf hofft, daß weitere unabhängige Projekte in Bosnien entstehen.