Ranküne und Verbitterung über die „Ausländer“

■ Vor der Übernahme Somalias am 1. Mai wächst somalische Kritik an der UNO

Barca (wps) – Mit seinem dichten weißen Bart und Sonnenbrille, einen Stock in einer Hand und eine Gebetskette in der anderen, sah Mohammed Dagane Dore ganz zerbrechlich aus, als er sich erhob. Aber seine Worte kamen mit großem Nachdruck, und er schwang seinen Stock in Zorn.

Dores Stock zeigte auf den Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, der vor wenigen Tagen in diesem Dorf nahe der südsomalischen Hafenstadt Kismaju eingetroffen war. „Als Sie kamen“, donnerte der alte Dore, „hat sich unsere Miliz entwaffnet.“ Die anderen Clan-Ältesten, allesamt Unterstützer von Omar Jess, einstiger Herrscher über Kismaju, nickten. Dore fuhr fort: Nach der Ankunft der internationalen Truppen Ende 1992 habe die rivalisierende Miliz von General Hersi Morgan, Schwager des gestürzten Diktators Siad Barre, den vom Ausland oktroyierten Waffenstillstand gebrochen, ihre Kämpfer nach Kismaju eingeschmuggelt und unter der Nase der untätigen Ausländer die Stadt eingenommen. Dore und die anderen Ältesten wurden von Morgans Armee in das dürre Dorf Barca vertrieben. Wir, sagen sie, sind die wahren einheimischen Bewohner von Kismaju. Die dort stationierten US-amerikanischen und belgischen Truppen, fügen sie hinzu, sollten die Morgan-Miliz wieder hinauswerfen und sie heimkehren lassen.

Die Einnahme Kismajus durch General Morgan war eine listige Aktion. Ende Februar schlichen sich Morgan-Kämpfer als Viehtreiber, die Kühe zum Markt brachten, in die Stadt ein. Dort holten sie Waffen aus Verstecken. US-amerikanische und belgische Offiziere berichten, Frauen und Kinder hätten weitere Waffen in die Stadt gebracht.

Wenige Meter von dem Ort entfernt, wo UNO-Sonderbeauftragter Jonathan Howe die Ältesten traf, liegen Opfer des Krieges um Kismaju in ihrem Blut, auf Matten am Betonboden einer „Klinik“. Belgische Soldaten hatten mindestens 60 Jess-Anhänger auf Lastwagen in dieses Dorf gebracht, nachdem sie ihnen erklärt hatten, sie in Kismaju nicht schützen zu können. Einige sind unterernährt, andere haben Schußverletzungen, viele leiden an Malaria. Ärzte sagen, daß 17 bereits gestorben sind, fünf davon Kinder.

Die Belgier sagen, Morgans Miliz hätte in Kismaju das Krankenhaus umstellt, wo diese Menschen lagen, und so hätten sie keine Wahl gehabt, außer zu evakuieren. Die Evakuierten sehen das anders. „Morgan hat uns hierher gejagt“, sagt Josef Mohammed, ein 21jähriger Wächter des Krankenhauses in Kismaju. „Die Belgier nahmen uns unsere Waffen weg, und dann griff die Morgan-Miliz die Stadt an.“ Er fügt hinzu: „Wir wollen zurück.“

Der 22jährige Krankenpfleger Mohammed Hassan sagte, die ausländischen Truppen „kamen nach Kismaju, um Ruhe und Ordnung und Frieden wiederherzustellen. Aber davon sehen wir nichts. Seit sie gekommen sind, ist die Lage schlimmer geworden. Warum sind wir in diesem gottverlassenen Ort? Weil es keine Sicherheit gibt.“ Ein Komitee zur Überwachung des Waffenstillstands, das aus Vertretern verschiedener Clans besteht, schlußfolgerte in einem Bericht, die Evakuierung der Jess-Anhänger durch die Belgier sei falsch gewesen, und forderte ihre Rückführung nach Kismaju unter ausländischer Militäreskorte.

Der Konflikt um Kismaju ist für die Befriedung Somalias eine Gefahr und damit auch für die Übernahme des Somalia-Kommandos durch die UNO am 1. Mai. Das Kismaju-Problem, sagen UNO- Beamte, ist eines der schwierigsten vor ihrer am 1. Mai vorgesehenen Übernahme des Somalia-Kommandos. Die Bitterkeit des Konflikts hat die UNO entnervt. Der wichtigste Verbündete des geschlagenen Omar Jess, der mächtige Warlord Farah Aidid, hat in der Hauptstadt Mogadischu eine Propagandakampagne in Zeitungen und Radio gegen die internationale Intervention losgetreten. Jonathan Howe nannte diese Kritik auf einer Pressekonferenz unfair und sagte: „Wenn so was verbreitet wird, bleibt es hängen.“

Verbitterte Jess-Anhänger sollen sich darauf vorbereiten, vor dem Beginn der Regenzeit in diesem Monat die Stadt zurückzuerobern. Aber sie geben zu, daß Jess und seine Miliz keine starke Kraft mehr sind. Viele der jungen Kämpfer wurden von den internationalen Truppen entwaffnet, und die meisten ihrer schweren Waffen sind in Lagern weggeschlossen.

Als im Laufe des März die ersten Gerüchte einer bevorstehenden Offensive zirkulierten, schickte das US-Kommando eine „schnelle Eingreiftruppe“ in die Stadt, die mit mehr als 2.000 Marines die rasche Reaktionsfähigkeit der USA unter Beweis stellen sollte. Die Marines sollten zwei Tage bleiben. Sie sind immer noch da. Keith Richburg