Schweigen, Reden

■ Gülbahar Kültür stellt ihre Gedichte vor / Lesungsreihe mit nichtdeutschen Autorinnen

=Ihren ersten Lyrikpreis erhielt sie in der siebten Klasse, und heute noch steht der Kriminalroman, der ihr damals überreicht wurde, in ihrem Bücherregal — obwohl sie Krimis überhaupt nicht mag. Gülbahar Kültür ist bei ihren Gedichten geblieben und wird heute abend eine Veranstaltungsreihe der autonomen Frauengruppe De Colores eröffnen. Fünf nichtdeutsche in Bremen lebende Autorinnen aus verschiedenen Ländern lesen einen Monat lang jeweils Freitagabend im Ortsamt Mitte.

Gülbahar Kültür ist Türkin. Sie lebt allein in einer kleinen Appartmentwohnung im Viertel, wo sie freundlich türkischen Tee serviert und höflich, wie nebenbei, von sich selbst erzählt: Sie ist vor 14 Jahren von ihren Eltern aus Istanbul nach Deutschland geholt worden und wollte damals eigentlich „nur zu Besuch kommen“. Drei Jahre hat sie gebraucht, um einzusehen, daß sie nicht würde zurückkehren können. „Also beschloß ich, hier von vorne anzufangen“ — erst mit 17 war sie bereit, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Und doch war da etwas geblieben, was dieses „neue Leben“ mit dem vorigen verband: Gülbahar Kültür hatte ihre Gedichte mit in die Fremde gebracht. „Es ist in der Türkei nicht Besonderes, daß du schon als Kind ein Gefühl für Poesie entwickelst. Viele junge Leute schreiben ihre Gedanken auf. Die Frage ist nur, ob sie damit weitermachen. Ich hab's eben getan.“

Das klingt lakonisch und ist es doch überhaupt nicht. Es ist die Art dieser heute 28jährigen Frau, konsequent ihre persönlichen Ziele zu verfolgen. Unheimlich zäh und ernsthaft kann sie dabei sein, das verraten ihre Augen, wenn sie darüber spricht. Vor vier Jahren ist sie gegen den Willen ihrer Eltern zu Hause ausgezogen, hat eine Lehre als Rechtsanwaltsgehilfin abgeschlossen und studiert jetzt Germanistik und Medienwissenschaften. Mit gerade soviel Begeisterung, daß sie durchhalten wird.

Dem Schreiben kommt sie über das Studium nicht unbedingt näher, das „war schon immer einfach da gewesen. Vieles habe ich da schon ausprobiert, aber die journalistische Arbeit war mir meist zu hektisch, und für einen Roman habe ich keine Ausdauer. Meine Gedichte schreibe ich eigentlich ganz primitiv: am Schreibtisch, auf dem Bett, im Bus, draußen und auch schon mal auf dem Klo.“ Gülbahar Kültürs Gedichte sind Eindrücke, Gedankenfetzen, kleine Geschichten, ohne strenge Rhythmen, keinen formalen Regeln folgend. Menschen, Gefühle, Situationen. Die haben sich in ihrem Leben schon öfter ganz krass verändert. „Irgendwann bin ich so ganz automatisch von der türkischen zur deutschen Sprache übergegangen, da ich gemerkt habe, daß bestimmte Ereignisse die Worte des zugehörigen Landes brauchen. Inzwischen kann ich mich auch für mich glaubhaft zweisprachig ausdrücken.“

Gülbahar Kültürs erstes Buch „Zwischen Schweigen und Reden“ ist vor sechs Jahren erschienen; seither hat sie zwar sehr viele Lesungen gehalten, sich aber wenig um eine weitere Veröffentlichung gekümmert. „Ich gehe damit eher braun-blauäugig um“, kokettiert sie: dies macht für sie einen Teil ihrer Unabhängigkeit aus. „Klar muß ich dafür kämpfen, wie alle anderen, vielleicht hier und da etwas mehr, als Frau, als Nichtdeutsche.“

Silvia Plahl

Heute 20 Uhr Ortsamt Mitte, Am Dobben 91