Durchs Dröhnland
: Hamburg, USA, Berlin, Jamaika, London und zurück

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Oh, Hamburg, du Perle der Hanse, wie zum Teufel machst du das? Wie kommt das, daß (na fast) alle deutschen Bands, die sich ihrer Muttersprache bedienen, ohne daß einem Prinzen-piell dabei schlecht wird, in dir zu Hause sind. Und wie kann es geschehen, daß fast jede Woche neue auftauchen, jetzt auch noch Die Fünf Freunde, die unpassenderweise bestehen aus zwei Frauen und vier Männern, die aus den Einkaufszentren der Vorstädte ihren Weg in dein Zentrum gemacht haben. Dort angelangt, beglücken sie deine Bewohner mit charismatisch einfachen Melodien, die zwar lieblich sind, aber kaum kleben. Mit intelligenten, aber trotzdem selten schwermütigen Texten, mit Humor, der nie in Dummbatzigkeit abdriftet. Sie selbst sagen, sie machen Pop „nicht für die Ewigkeit. Eher für die nächsten zehn Minuten.“ Und das stimmt. Hast du ein Glück, Hamburg.

Am 16.4. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Ja, ja, Hamburg. Du hast noch mehr Glück. Du hast nicht nur die feinsinnigen Musikanten dieses Landes zu Gast (s.o.), auch die eher grobkörnigen. Blumen am Arsch der Hölle sind „Hamburger Punk-Adel“ (Eigenbezeichnung) – und doch viel mehr. Auf dem Weg zum Hardcore sind sie zwar nicht allzuweit gekommen, aber genau dieses Mittendrinhängen macht auch ihren Reiz aus. Die Müllproduktion klingt eben wie so gewollt und eben auch gut, der Sound dünn, denn dann hat die Stimme mehr Platz. Und die erzählt, kreischt, schreit eher von den dunklen Seiten, die es auch in dir, Hamburg, reichlich gibt. „Scheußliches Gefühl mit diesem Krebs im Arsch“ oder „Bulle hatte keine Lust mehr/ Schoß dem Demonstranten ins Auge/ Was ist ein Menschenleben wert?!“ Solche Sätze lesen sich holprig, sind aber näher an der Sprechsprache als alles, was ich bisher gehört habe. Mit der rechten Wut gesungen perfekt, auch weil der Reimzwang erfolgreich zu den Akten gelegt wurde. Beste deutsche Punkband seit der Erfindung der Sicherheitsnadel.

Am 17.4. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Amerika, du hast es natürlich immer noch besser. Dein Punkrock war nie so gekünstelt wie der der englischen Erfinder und schon gar nicht so unbeholfen wie der der deutschen Nachahmer. Und daß du bis heute in der Lage bist, großartig Rumpelndes hervorzubringen, beweisen jetzt schon zehn Jahre lang Poison Idea. Die bringen nicht nur bisher nicht gesehene Massen an Lebendgewicht auf die Bühne, sondern setzen die Pfunde auch noch in eine derbe rollende Vorwärtsbewegung um, die durch so gut wie nichts aufzuhalten ist — außer vielleicht einen heftig schöngeistigen Sinn für Ästhetik. Der Hardcore von Poison Idea ist zuvorderst einmal nur dreckig, Trash eben, direkt aus der Latrine und entsprechend beschaffen. Da können auch die eigentlichen Headliner des „Full of Hate Festivals“ nicht so recht mithalten. Und das sind immerhin die erfahrenen Leichenschänder Carcass und Death, ihres Zeichens die Erfinder des gleichnamigen Metal- Genres. Mit den holländischen Gorefest und den schwedischen Tiamat vervollständigen weitere 1a-Schlachtfestkapellen den Abend, in dessen Rahmen sich Poison Idea zwar obskur ausnehmen, was sie aber nicht davon abhalten sollte, den Death-, Doom- und Black-Metal-Hüpfern zu zeigen, daß man es auch schon vor einigen Jahren verstand, der Wut die richtigen Töne beizubringen.

Am 17.4. ab 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Ach, und jetzt auch noch du, Duisburg. Selbst du Spucknapf des Ruhrpotts zählst immerhin Tom G. Liwa zu deinen Söhnen. Der wird nicht erst seit vorgestern landauf, landab als größter heimischer Songwriter gehandelt. Als er seine jungenhafte Dylan- Verehrung zu den Akten legte und auch noch in seiner Muttersprache dichtete, stiegen die Flowerpornoes zur zeitweise einzigen ernstzunehmenden deutschsprachigen Popband von Rang auf. Dann kam Hamburg, und du, Duisburg, warst wieder nur zweite Liga. Aber so in Ruhe, im Schatten konnten die Flowerpornoes reifen, ein wenig rockiger werden und Liwa noch schönere Texte verfassen. Wer's nicht glaubt, höre „Doofe in einer doofen Welt“.

Am 17.4. um 22 Uhr mit den ebenfalls supertollen Mecca Normal aus Vancouver auf der Insel

Kommen wir zu dir, Berlin. Leider muß ich sagen, daß Du diese Woche ganz alt aussiehst. Wenn du auch ausgerechnet nur die Gunslingers ins Rennen schickst. Die spielen ihren Rock 'n' Roll leider so humor- und bedeutungslos, daß man sich nicht weiter darüber auslassen sollte. Halt Gitarre, halt Mitgröhlrefrains, erinnert mich irgendwie an UFO, aber ich kann mich auch täuschen. Mach's besser nächstes Mal, Berlin.

Am 17.4. mit Dajana Loves Paisley im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg

Da denkt man sich alles so hübsch aus, und dann steht da nirgends, woher Mick Abrahams stammt. Da er mal einige Jahre Gitarrist bei Jethro Tull war, wird er vielleicht auch aus London kommen. Also du, London. Daß es bei dir auch einige Jungs gibt, die noch richtig den Blues spielen können, hatte ich fast vermutet. Daß bei einem gestandenen Recken wie Herrn Abrahams nichts sonderlich Aufregendes oder gar Neues passiert, verwundert auch nicht. Daß er, wenn er nicht gerade den Flinkfinger macht, Zeilen singt wie „Take it easy, Baby“, wollen wir mal nicht dir ankreiden, London. Auch weil wir ja gar nicht sicher sein können, ob du es überhaupt bist.

Am 18.4. um 22 Uhr im Franz

Von dir, Birmingham, hört man eher selten was. Um so erstaunlicher dann Bass Dance. Ist dir wirklich gut gelungen, dieser Reggae mit all den altmodischen Zutaten, aber halt auch einem phantasievollen Mann am Sampler. Mittendrin in einem selbst zum Kiffen zu langatmigen Offbeat diese Metal-Gitarre. Wirklich gut, auch die anderen kleinen Ideen, die alte Chose am Laufen zu halten. Nett, dich zu treffen, Birmingham.

Am 20.4. um 21 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Jetzt noch zu dir, Kanada. Allzuviel hattest du noch nie zu bieten, mal abgesehen von der Mainstream-Sülze von Bryan Adams oder Rush. Bei Long John Baldry liegt die Sache anders, der ist heilig bei dir. Obwohl er sich 35 Jahre lang seine Meriten hauptsächlich in England verdiente, wo er zusammen mit Alexis Corner die Blues Incorporated formierte und dabei als Abfallprodukt vier Fünftel der englischen Rockszene entdeckte (Stones, Cream, Manfred Mann, Rod Stewart, Julie Driscoll, Brian Auger etc.). Also Legendentime this time. Ach ja, der Mann spielt Blues, urban. Und das natürlich versiert, sehr. Wußten Sie übrigens, wem zu Ehren der notorische Elton John den Nachnamen seines Pseudonyms wählte? Richtig! Legende eben.

Am 22.4. um 22 Uhr im Franz Thomas Winkler