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Zwischen den RillenT-Shirt-Träger Unlimited

■ Auch Jazzer waren mal hip: Tim Bernes Hommage-LP an Julius Hemphill

Was haben Nebelklänge, seriell Abstraktes, Unbekanntes, Riten und gekrümmte Liebeslinien gemeinsam? Daß sich Mysteriöses anbahnt. Nicht nur mystery to me, eben auch für den Saxophonkoloß Julius Hemphill und seinen Schüler Tim Berne, der derartige Vagheiten in den Titeln seiner LP führt. Zwar heißt der Oberbegriff hier abgefahren „Diminutive Mysteries“, doch nur das allein ändert auch nichts daran, daß ein Mysterium noch keine Musik macht.

Zum Glück. Denn wen reißt es heute wirklich noch vom Hocker, ob man zeitgenössisch tut oder nicht? Vorbei die Zeit, als die Avantgarde – selbsternannt, sogenannt oder einfach nur unbekannt umbenannt – schon den Hörkanälen Trance-Signale zu befehlen vermochte, bevor auch nur ein Ton sich dahin aufgemacht hatte. Vorbei auch die Zeit der Diskurse, in denen freie Improvisationen zum Garanten des schöpferischen Fortschritts gekürt wurden. Krach ade !(?) Und dennoch mischt sich in das befreiende Aufatmen zwischen den Rillen ein zunächst unaufdringliches, aber gewichtiges „Was nun?“ Vorbei nämlich auch die Zeit, da man ein einfach vergnüglich schnippendes So what? anstimmen mochte – auch Jazzer waren schließlich mal hip.

Es stellt sich also nicht nur die Frage, was bleibt, sondern wer sich überhaupt noch eine Antwort darauf traut. „Fine Art“ nennt man heute kurzerhand alles an Jazz, was sich in einem Zwischenbereich gesammelt hat: zwischen dem, was mehr sein soll als beliebiges Nebenbei während einer Autofahrt durch Florida oder Mecklenburg-Vorpommern (im Hochsommer) und dem, was zu nichts mehr zu gebrauchen scheint. Da wird Wynton Marsalis, gestern erst als Kapitän zum Aufmöbeln eines ausrangierten Mississippi-Kutters angeheuert, über Nacht als Wortführer einer vermeintlich sozialpsychologisch- revolutionären Musikernachwuchsbewegung rausgeputzt. Und besonders gilt das dort, wo Jazzer keine Jazzer mehr sind, wo Redefinitionen von Ewig-Gestrigem zu Losungen des Tages werden, da wo der cleane Zweireiher als hip gilt, wo Musik auf einmal nur noch Musik sein soll – in New York.

Aber eben dort gibt es auch immer mal wieder die anderen, die nur oversea Chancen haben, produziert zu werden und die sich dennoch trauen, so einheimisch globalgemixt daherzukommen. Tim Berne zum Beispiel – und zum Glück.

Daß Melodien der Improvisation nicht schaden müssen, ist eine so neue Erkenntnis nicht – schon gar nicht für Berne und seine Musiker. Daß es wohltuend sein kann, als Hörer gelegentlich daran erinnert zu werden, scheint immerhin erwähnenswert. Daß ein Drive, wie ihn die immer kichernde Glatz-Fratze Joey Baron gegen alles haut, was Hank Roberts gerade seinem Cello einfühlsam entstreift hat und Marc Ducret seinen Gitarren entquält – daß ein solcher Drive pulsieren kann wie Blut vor einem nahenden Herzinfarkt, ist selten derart mitreißend spürbar zu hören. Dabei wollte Tim Berne eigentlich nur eine Hommage an seinen Freund und Lehrer Julius Hemphill aufnehmen. Herausgekommen ist dabei eine wilde Sound-Collage zum Mitsummen und Hinhören. Endlich auch mal nichts Wiederaufgeblähtes aus der work in progress-Schiene, das erst noch einmal nachaltern muß, endlich einmal auch etwas erfrischend Profanes jenseits des Feinen.

Die T-Shirt-Träger der aktuellen New Yorker Jazz-Szene in Höchstform; lediglich einer hat sich eingeschlichen, den man doch ganz woanders vermutete: David Sanborn. Nicht in der Rolle des Vorzeige-VIPs kürt er die Namenliste des Covers, sondern als Saxophonist, wie man ihn noch nicht mal aus seinen Miles- Davis-Tagen her in Erinnerung hat. Wer Sanborn schon als Mainstream-Instrumental-Popper für besagte Autotrips ausdefiniert hatte, muß umdenken. Als Pendant zu und im Chorus mit Berne bläst er entweder das Sopranino oder das Altsaxophon, mal lyrisch, mal sperrig, mal wie gehabt, mal outstanding. Sanborn hatte ja auch schon 1964 in St. Louis mit Julius Hemphill gejamt, damals als young cat, bevor alles anfing.

Und Hemphill? – spielt gar nicht mit. Er wirkt hier lediglich als abstinenter Ober-Guru, der dem bleichen Nachwuchs mit dem großen Sound ein paar Notenfetzen überreichte: nun macht mal. Eigentlich war Tim Berne ja seinetwegen nach New York gekommen, um zu lernen, faßte überhaupt erst den Entschluß, Musiker zu werden, als er Julius Hemphills Album „Dagon A.D.“ hörte – vor zwanzig Jahren. Der eklektizistisch-revolutionäre Altsaxophonist Hemphill aber wurde nach seiner Mitwirkung an der Anthony-Braxton-Platte „New York, Fall 1974“ zu einem einflußreichen Katalysator der Jazz-Neuzeit zwischen Great Black Art und anderen Sound- Farben. Das von ihm 1976 begründete World Saxophone Quartet wurde in den Achtzigern zum Vorbild für das ROVA Saxophone Quartet, das 29th Street Saxophone Quartet und das Young Neighborhood Quartet – um nur einige zu nennen. „Ich sehe die Rolle des Saxophons ähnlich wie die der Gitarre oder anderer Instrumente, die in vielen anderen Ensembles als Führungsstimmen erscheinen. Ich stelle keine Rangfolgen für die Stimmen auf. Es spielt keine Rolle, um welches Instrument es sich handelt. Sie sind alles gleichwertige Teile eines neuen Ganzen. Alle diese Instrumente haben schon lange existiert. Aber als Saxophone für die afrikanischen Amerikaner verfügbar wurden, bekamen sie neue Ausdrucksmöglichkeiten. Niemand hat diese Instrumente vorher so gespielt wie wir, und so sind sie nicht mehr dieselben, die sie einmal waren.“ So Hemphill, wohl ahnend, daß auch er daraus keinen Alleinbesitzanspruch ableiten kann. Und so erfuhr Berne während seiner Lehrjahre bei Hemphill – neben Weisheitlichem und Wissenswertem über Kompositionslehre, Studioaufnahmen, Promotion, Handzetteldesign und Magie – auch etwas über das Altsaxophonspiel, wenn denn noch Zeit dazu blieb.

Als der Meister nun jüngst hörte, was sein Schüler und dessen Band mit den Melodieschnipseln aus seiner Feder veranstaltet hatten, müssen ihm fast die Worte ausgegangen sein, die er vorsorglich für den Fall des Scheiterns auf Halde bereit hielt. „Die Musik spricht für sich selbst“, schrieb Hemphill noch ins Bookletinnere, über den Hintergrund der „kurzen schöpferischen Episoden“ von „Diminutive Mysteries“ schwieg er sich dann einfach aus. Alles Musik, zum Glück! Christian Broecking

Tim Berne: „Diminutive Mysteries - (mostly) Hemphill“, JMT-CD 514 003-2, rec. NYC.

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