Oliven von Edremit sind Gold wert

Die Preussag AG will an der türkischen Ägäisküste mit Zyankali Gold abbauen / Angst vor Öko-Katastrophe  ■ Von Ömer Erzeren

Ein mächtiger Berg erhebt sich zur Rechten. Der Berg fand das Wohlgefallen der Götter. Vom 1.767 Meter hohen Gipfel des Ida pflegten sie den Trojanischen Krieg zu beobachten. Am Horizont erblickt man das Ägäische Meer. Zwischen dem Meer und den ersten Anhöhen des Berges erstreckt sich ein sattes Grün. Olivenbäume, wohin das Auge blickt.

„Dieses Paradies gehört uns“ haben Bauern des 1.000-Seelen Dorfes Küçükdere auf ein Transparent geschrieben. Das Paradies soll ihnen weggenommen werden. Deshalb haben sie sich versammelt. Auf dem schönsten Platz des Dorfes, der vor dem Kaffeehaus von Küçükdere liegt: unter den Fichten, neben dem Brunnen mit den Goldfischen, mit Ausblick auf die Olivenhaine und das Meer.

Gold durch Zyanidlauge

Gleich neben dem Dorf ist der Tüprag, einem Tochterunternehmen der deutschen Preussag AG, vom türkischen Energieministerium eine Bergbaugenehmigung erteilt worden. Die Tüprag will hier nach Gold schürfen. Oberhalb von Küçükdere sind die ersten paar hundert Fichten bereits für die Sondierungen gefällt worden. Mitten in den Olivenhainen soll ein großes Becken gebaut werden, in dem, mit einer giftigen Zyanidlauge gefüllt, das Gold aus dem zermahlenen Gestein herausgelöst werden soll. Allein um das Becken zu errichten, müssen 3.000 Olivenbäume gefällt werden. Für die Gewinnung der geschätzten Reserven von 7 Tonnen Gold und 15 Tonnen Silber entlang der Bucht von Edremit wird über eine Million Kubikmeter Gestein zermahlen und mit Zyankali bearbeitet werden, 22 Hektar Olivenhaine und Wald werden unmittelbar zerstört. Von den ökologischen Folgen des Bergbaus ist die gesamte Bucht von Edremit mit rund 10 Millionen Olivenbäumen betroffen.

Vor dem Kaffeehaus von Küçükdere wird der Aufstand geprobt. Die Versammlung Hunderter Bewohner der Umgebung ist halb politische Kundgebung, halb Sitzung einer Bürgerinitiative. „Wir sind keine Versuchskaninchen. Wir lassen uns nicht morden“, hält ein Schüler sein Transparent in die Runde. „Den verfluchten Deutschen sollte man das Zyankali vor die Haustür kippen“, ruft erregt ein alter Mann. Eine Forderung, die kaum Chancen auf Realisierung hat. Nach Auskunft des Umweltbundesamtes in Berlin ist zwar das jetzt von der Preussag in Aussicht genommene Verfahren zur Goldgewinnung nicht ungewöhnlich (im Vergleich zu einem anderen, in Südamerika verwendeten Verfahren sogar weniger gefährlich), doch sei schließlich entscheidend, wie die Lauge „entgiftet wird“, bevor sie ins Abwasser gelangt. Genau da fürchten die Anwohner das Schlimmste.

„Sie schaufeln unser Grab“, sagt der Bürgermeister der benachbarten Stadt Peliköy, der ins Dorf angereist ist. Er schimpft auf die Bulldozer, die für die Baustellen der Bergbaugesellschaft Straßen anlegen. „Dies ist ein Erdbebengebiet. Es ist gerade einen Monat her, daß diese Region von einem Erdbeben betroffen wurde und hier alles gewackelt hat. Das Gift wird zwangsläufig ins Grundwasser gelangen. Türkische Oliven werden als Zyankali-Oliven Ruhm erlangen.“ Doch nicht nur durch Erdbeben ist die Region gefährdet, falls es zum Goldabbau kommt. Nur wenige hundert Meter von dem geplanten Zyankali-Becken entfernt fließ der Fluß Havran. Im Frühjahr tritt er regelmäßig über die Ufer, überschwemmt das gesamte Gebiet. Künftig, so fürchten die Bauern, könnten die Fluten auch das Gift mitschwemmen. Aus dem Grundwasser wird entlang der Bucht von Edremit eine Bevölkerung von rund 300.000 Menschen im Winter versorgt. Im Sommer sind es mit den Touristen sogar 1.000.000 Menschen. Die Küsten Edremits sind ein Zentrum des Massentourismus. Oliven und Tourismus sind die Existenzquellen der Bevölkerung. „Ich soll den Touristen wohl sagen, daß es für ihre Gesundheit gut ist, wenn sie sich unter Zyankali-Staub in unseren Thermalbädern sonnen“, erzürnt sich der Bürgermeister von Güre, Kamil Saka.

Die ganze Region im Widerstand

Die Kaffeehausversammlung in Küçükdere ist eine Art Grundsteinlegung für den Widerstand gegen das Bergbauprojekt. Ein Abgeordneter, alle dreizehn Bürgermeister der Region, Funktionäre der Anwaltskammer, der Ärztekammer, des Verbandes der Agraringenieure, Touristikunternehmer – kurzum alles, was Rang, Macht und Einfluß in der Region hat – beraten mit den Bauern von Küçükdere über ein Aktionsprogramm. Der Widerstand gegen den geplanten Bergbau geht quer durch alle politischen Parteien. Selbst der Widerspruch zwischen sozialen Klassen scheint aufgelöst. Der Bauer Dündar Aydogdu erklärt der Runde, wie die Bergbaugesellschaft mit Drohungen versuchte, das Land aufzukaufen. Das Dreifache des üblichen Preises haben sie für Aydogdus Olivenhaine geboten. Doch Aydogdu verkaufte nicht. Man drohte ihm, daß er bei einer Verstaatlichung erheblich weniger Geld bekommen würde. Doch Aydogdu verkaufte nicht. Heute erklärt er der Runde: „Sie wollen unsere Olivenhaine in eine Wüste verwandeln. Doch wir werden kämpfen bis aufs Blut.“

Wenige Meter entfernt hört man Frauen auf einen Fotografen einschreien: „Sie haben es auf all unser Hab und Gut, unser Land und unsere Ehre abgesehen. Sie wollen uns vertreiben.“ Der Abgeordnete Melih Papuccuoglu fügt sich ganz der Stimmung: „Es geht hier nicht nur um den Kampf der Menschen von Küçükdere. Es ist ein Kampf für die gesamte Menschheit. Falls dieses mörderische Projekt genehmigt wird, werde ich mein Mandat niederlegen und in euren Reihen kämpfen.“

Eine Solidaritätsadresse von Notis Panagiotu, dem Bürgermeister der griechischen Insel Lesbos, die der Bucht von Edremit gegenüberliegt, wird verlesen. Von einer „Öko-Katastrophe mittels Zyankali“ ist in dem Brief die Rede. Im Widerstand gegen die drohende Öko-Katastrophe formiert sich die griechisch-türkische Freundschaft im Nu. Panagiotu wird gleich zum nächsten Treffen in Küçükdere als Redner eingeladen. „Unser Kampf wird umfassend sein: mit Hungerstreiks, Demonstrationen, Unterschriftenlisten und Prozessen“, bekunden die Teilnehmer in der Kaffeehaus-Abschlußdeklaration. Sie haben auch schon dafür gesorgt, daß sie jeder der 300.000 Einwohner in Edremit zu hören kriegt. Alle dreizehn anwesenden Bürgermeister wollen die Erklärung über städtische Lautsprecher, die in den ägäischen Kleinstädten an jeder Ecke stehen, verlesen lassen.

Der Abgeordnete Melih Papuccuoglu, einer der erbittertsten Gegner des Bergbauprojektes, ist nicht so schnell aus der Fassung zu bringen. Der konservative Politiker, der der Regierungspartei DYP (Partei des rechten Weges) angehört, sucht stets nach politischen Kompromissen. Doch wegen der Umstände der Lizenzerteilung für den Goldabbau ist ihm der Kragen geplatzt. Mehrfach hat er beim Energieminister und bei dem türkischen Ministerpräsidenten Demirel vorgesprochen, um das Unheil abzuwenden.

Neben der Preussag-Tochter Tüprag hat der niederländische Konzern Eurogold Lizenzen in der Region erhalten. Der Energieminister beschwichtigte ihn, eine Genehmigung sei noch nicht erteilt. Erst später erfuhr er aus Presseberichten, daß die Sache doch bereits unter Dach und Fach war. „Wie kannst du einen Abgeordneten anlügen“, hat er den Minister angefahren. Er ist erzürnt über das offizielle Umweltgutachten, das die Gefahren verharmlost. „Die Firma hat den Herrn Professor zu einer Reise nach Neuseeland eingeladen. Dort ist dann das Gutachten entstanden.

„Er präsentiert mehrere Gegengutachten, die er hat anfertigen lassen. Gutachten medizinischer Fakultäten, der Geologenkammer, der Kammer der Agraringenieure. Doch selbst in dem offiziellen Gutachten finden sich die Anhaltspunkte und Projektionen, die auf die Umweltkatastrophe hinweisen. Binnen acht Jahren werden nicht nur 240 Tonnen Cyanid in die Becken eingelassen. Während des Prozesses werden auch Quecksilber, Blei, Nitrat und Kadmium freigesetzt. „Für ein paar Pfund Gold spielen sie mit der Gesundheit von Millionen Menschen“, sagt Papuccuoglu.

Doch auch unter ökonomischen Gesichtspunkten will ihm der Goldabbau nicht in den Sinn. Der Olivenanbau garantiert nicht nur die Arbeitsplätze in der Region, sondern erwirtschaftet auch ein Mehrfaches der 13,5 Millionen US- Dollar, die die Goldförderung erbringen sollen. Ein Drittel der türkischen Olivenölproduktion – die Türkei ist der fünftgrößte Olivenproduzent weltweit – kommt aus der Bucht von Edremit. Warum trotz alledem die Bergbaugenehmigung erteilt wurde, kann Papuccuoglu nicht erklären. „Der Einfluß der Multis auf die Regierungsbürokratie ist groß“ sagt er etwas unbestimmt. „Ist der Energieminister gekauft?“ fragt ein Lokalreporter. „Das kann ich nicht wissen“, antwortet der Abgeordnete. Er setzt seine Hoffnung auf den türkischen Umweltminister. Für die endgültige Genehmigung wird noch die Zustimmung des türkischen Umweltministeriums benötigt. Doch bedenklich ist er geworden: „Es sind nicht nur Neonazis in Deutschland, die morden.“

Der junge Bürgermeister der Stadt Gömec, Sefik Birdar, ist ein sanfter Mann, der auch mit viel Witz gegen die Goldgräber kämpft. Gemeinsam mit den Gutachten schickte er einen Brief an einen der größten Versicherungskonzerne der Türkei, in dem er seine Absicht bekundete, sein Städtchen gegen Gesundheitsschäden und Todesfälle durch den offenen Cyanid-Bergbau zu versichern. Versicherungen seien als Schutz gegen Risikos gedacht, mußte er sich in dem Antwortschreiben der Versicherung belehren lassen. Doch in diesem Falle handle es sich nicht um ein Risiko. Aus dem beigefügten Gutachten gehe eindeutig hervor, daß der Schadensfall eintreten werde. „Aus diesem Grund ist eine Versicherung ausgeschlossen“, schließt der Brief des Versicherungskonzerns. Sefik Birdar lächelt. Er hat das Alte Testament, das Neue Testament und den Koran gelesen. Er wirft Juden, Christen und Moslems vor, daß sie dogmatisch den Geist Gottes verzerrten. Der gläubige Moslem und Weintrinker Birdar liebt es, aus dem Koran Passagen zu Oliven, Feigen und Menschen zu zitieren. „Wenn unsere Bucht für ein paar Pfund Gold geopfert wird, so ist das nicht nur Verrat an den Menschen, sondern an Gott.“ Er blickt zu dem Berg Ida hinauf. „Was wir hier führen, ist ein heiliger Krieg.“